Mittwoch, 27. April 2011

Konfuzius verschwunden - Ethik gesucht

Da habe ich in meinem letzten Eintrag von der neuen Konfuzius-Statue auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschrieben und nun ist sie schon wieder weg. Das Ungetüm aus 17 Tonnen Bronze ist über Nacht verschwunden und offenbar an einer weniger prominenten Stelle in einer nahe gelegenen Parkanlagen wieder aufgestellt worden, wie man in der New York Times nachlesen kann.

Die Errichtung der Statue unter der Nase des Großen Vorsitzenden im Januar hatte unter Parteilinken in der KPCh für einigen Unmut gesorgt, weil Mao Zedong den Konfuzianismus als Quelle aller Übel des modernen China bekämpft hatte. Unter anderem hatte der Große Steuermann gesagt: "Wenn die Kommunistische Partei auf Schwierigkeiten in der Beherrschung Chinas stößt und Konfuzius wieder zurück bittet, dann ist sie so gut wie am Ende." Prophetische Worte. Aber wenn sie tatsächlich wahr werden sollten, was durchaus passieren könnte, dann wird es wohl kaum am armen Konfuzius gelegen haben, sondern am Zustand der KPCh selbst. Die Aufstellung der Konfuzius-Statue war im Grunde genommen eine Bankrott-Erklärung der Kommunistischen Partei Chinas; ihr Verschwinden kann als Symbol dafür gewertet werden, dass Konfuzius dem heutigen China auch nicht mehr helfen kann.

Der Mangel an ethischer Orientierung wird aber auch in China sehr deutlich gespürt und häufig beklagt. Das Revival des Konfuzianismus ist dafür ein deutliches Zeichen. Aber wenn man sich Produkte dieser konfuzianischen Erneuerung ansieht, wie das Buch Lunyu xinde (Eindrücke beim Lesen der Gespräche des Konfuzius) von Yu Dan, dann kann man sich über die gekünstelte Beliebigkeit solcher Versuche nicht hinwegtäuschen. Wie schon letztes Mal gesagt, ist Konfuzius tot und dient nur noch der Folklore. Und um die anderen Lehren, die China früher einmal einen moralischen Unterbau gegeben haben, sieht es noch viel schlimmer aus: Der Buddhismus spielt keine wahrnehmbare Rolle mehr. Viele Menschen besuchen zwar die Tempel und Klöster, befolgen in ihrem Alltag buddhistische Riten und unternehmen auch Pilgerfahrten, aber das bleibt im Privaten und hat keinerlei Einfluss auf die öffentliche Diskussion des moralischen Zustands Chinas, welche ja durchaus stattfindet. Und der Daoismus ist nach meiner Beobachtung in China ebenso esoterisch und exotisch, wie bei uns im Westen auch und hat für das moderne China kein wirkliches Angebot zu machen. Beide Religionen kranken - wie auch der Konfuzianismus - an einem Jahrhundert der Revolution und Traditionsfeindlichkeit, und es ist fraglich, ob sie sich davon noch einmal erholen können. Bleibt noch das Christentum, welches sich ja einer zunehmenden Beliebtheit in China erfreut und von vielen Chinesen als eine unverbrauchte Alternative wahrgenommen wird. Die Hauskirchenbewegung zumindest ist sehr rege und verfügt über einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss, wie die Überwachung und Verbote durch die Sicherheitsorgane indirekt unter Beweis stellen. Trotzdem glaube ich nicht, dass das Christentum in China über den Status eines Randphänomens hinauskommen wird. Dafür ist es vom chinesischen Mainstream einfach zu weit entfernt und außerdem durch seine Verstrickung in die unselige Kolonialgeschichte historisch zu stark belastet.

Was bleibt also übrig? Meiner Ansicht nach nur die Entfaltung eines modernen Bürgersinns. Materielle Ziele allein zu verfolgen, wird auf die Dauer wohl nicht ausreichen, die chinesische Gesellschaft in den kommenden schwierigen Zeiten zusammen zu halten. Es gibt viele (kleine) Leute in China, die Verantwortung übernehmen, wie den kürzlich verstorbenen Zheng Chenzhen, der - obwohl selbst arbeitslos und ohne festes Einkommen - seit vielen Jahren heimatlose Waisen bei sich aufnahm und ihnen ein Zuhause bot. Dieser Mann hat einfach gehandelt, ohne sich dabei auf weltanschauliche Maximen zu berufen. Aber sein Engagement hätte sicherlich auch Konfuzius gefallen, denn wie hat schon der Meister gesagt: "Zu wissen, dass es nicht geht und es trotzdem tun, darin liegt wahre Menschlichkeit". Eine Gesellschaft und ein politisches System, das solchen Menschen als aktiven Bürgern mehr Spielräume gäbe, wäre vielleicht in der Lage, die Ungleichgewichte in der chinesischen Entwicklung etwas zu mildern und die Erfolge, die China unbestreitbar zu verzeichnen hat, längerfristig zu stabilisieren. An einen solchen Bürgersinn könnte dann vielleicht auch der Konfuzianismus wieder anknüpfen und ein echtes Comeback erleben. Denn weder Konfuzius selbst, noch die bedeutenderen unter seinen Nachfolgern waren zu ihren Lebzeiten die Vorzeigeintellektuellen etablierter Regime, sondern mussten sich gegen widrige gesellschaftliche und politische Umstände durchzusetzen versuchen.

Das alles mag utopisch erscheinen, vor allem den Apolegenten einer ewigen chinesischen Kultur. Aber wie lange liegen denn wirklich die Zeiten zurück, in denen man bei uns eine überlegene deutsche "Kultur" gegen die bloße "Zivilisation" des Westens verteidigen zu müssen glaubte? "The times they are gonna changin'" (wie Bob Dylan in Peking leider nicht hat singen dürfen).

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