Mittwoch, 27. April 2011

Konfuzius verschwunden - Ethik gesucht

Da habe ich in meinem letzten Eintrag von der neuen Konfuzius-Statue auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschrieben und nun ist sie schon wieder weg. Das Ungetüm aus 17 Tonnen Bronze ist über Nacht verschwunden und offenbar an einer weniger prominenten Stelle in einer nahe gelegenen Parkanlagen wieder aufgestellt worden, wie man in der New York Times nachlesen kann.

Die Errichtung der Statue unter der Nase des Großen Vorsitzenden im Januar hatte unter Parteilinken in der KPCh für einigen Unmut gesorgt, weil Mao Zedong den Konfuzianismus als Quelle aller Übel des modernen China bekämpft hatte. Unter anderem hatte der Große Steuermann gesagt: "Wenn die Kommunistische Partei auf Schwierigkeiten in der Beherrschung Chinas stößt und Konfuzius wieder zurück bittet, dann ist sie so gut wie am Ende." Prophetische Worte. Aber wenn sie tatsächlich wahr werden sollten, was durchaus passieren könnte, dann wird es wohl kaum am armen Konfuzius gelegen haben, sondern am Zustand der KPCh selbst. Die Aufstellung der Konfuzius-Statue war im Grunde genommen eine Bankrott-Erklärung der Kommunistischen Partei Chinas; ihr Verschwinden kann als Symbol dafür gewertet werden, dass Konfuzius dem heutigen China auch nicht mehr helfen kann.

Der Mangel an ethischer Orientierung wird aber auch in China sehr deutlich gespürt und häufig beklagt. Das Revival des Konfuzianismus ist dafür ein deutliches Zeichen. Aber wenn man sich Produkte dieser konfuzianischen Erneuerung ansieht, wie das Buch Lunyu xinde (Eindrücke beim Lesen der Gespräche des Konfuzius) von Yu Dan, dann kann man sich über die gekünstelte Beliebigkeit solcher Versuche nicht hinwegtäuschen. Wie schon letztes Mal gesagt, ist Konfuzius tot und dient nur noch der Folklore. Und um die anderen Lehren, die China früher einmal einen moralischen Unterbau gegeben haben, sieht es noch viel schlimmer aus: Der Buddhismus spielt keine wahrnehmbare Rolle mehr. Viele Menschen besuchen zwar die Tempel und Klöster, befolgen in ihrem Alltag buddhistische Riten und unternehmen auch Pilgerfahrten, aber das bleibt im Privaten und hat keinerlei Einfluss auf die öffentliche Diskussion des moralischen Zustands Chinas, welche ja durchaus stattfindet. Und der Daoismus ist nach meiner Beobachtung in China ebenso esoterisch und exotisch, wie bei uns im Westen auch und hat für das moderne China kein wirkliches Angebot zu machen. Beide Religionen kranken - wie auch der Konfuzianismus - an einem Jahrhundert der Revolution und Traditionsfeindlichkeit, und es ist fraglich, ob sie sich davon noch einmal erholen können. Bleibt noch das Christentum, welches sich ja einer zunehmenden Beliebtheit in China erfreut und von vielen Chinesen als eine unverbrauchte Alternative wahrgenommen wird. Die Hauskirchenbewegung zumindest ist sehr rege und verfügt über einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss, wie die Überwachung und Verbote durch die Sicherheitsorgane indirekt unter Beweis stellen. Trotzdem glaube ich nicht, dass das Christentum in China über den Status eines Randphänomens hinauskommen wird. Dafür ist es vom chinesischen Mainstream einfach zu weit entfernt und außerdem durch seine Verstrickung in die unselige Kolonialgeschichte historisch zu stark belastet.

Was bleibt also übrig? Meiner Ansicht nach nur die Entfaltung eines modernen Bürgersinns. Materielle Ziele allein zu verfolgen, wird auf die Dauer wohl nicht ausreichen, die chinesische Gesellschaft in den kommenden schwierigen Zeiten zusammen zu halten. Es gibt viele (kleine) Leute in China, die Verantwortung übernehmen, wie den kürzlich verstorbenen Zheng Chenzhen, der - obwohl selbst arbeitslos und ohne festes Einkommen - seit vielen Jahren heimatlose Waisen bei sich aufnahm und ihnen ein Zuhause bot. Dieser Mann hat einfach gehandelt, ohne sich dabei auf weltanschauliche Maximen zu berufen. Aber sein Engagement hätte sicherlich auch Konfuzius gefallen, denn wie hat schon der Meister gesagt: "Zu wissen, dass es nicht geht und es trotzdem tun, darin liegt wahre Menschlichkeit". Eine Gesellschaft und ein politisches System, das solchen Menschen als aktiven Bürgern mehr Spielräume gäbe, wäre vielleicht in der Lage, die Ungleichgewichte in der chinesischen Entwicklung etwas zu mildern und die Erfolge, die China unbestreitbar zu verzeichnen hat, längerfristig zu stabilisieren. An einen solchen Bürgersinn könnte dann vielleicht auch der Konfuzianismus wieder anknüpfen und ein echtes Comeback erleben. Denn weder Konfuzius selbst, noch die bedeutenderen unter seinen Nachfolgern waren zu ihren Lebzeiten die Vorzeigeintellektuellen etablierter Regime, sondern mussten sich gegen widrige gesellschaftliche und politische Umstände durchzusetzen versuchen.

Das alles mag utopisch erscheinen, vor allem den Apolegenten einer ewigen chinesischen Kultur. Aber wie lange liegen denn wirklich die Zeiten zurück, in denen man bei uns eine überlegene deutsche "Kultur" gegen die bloße "Zivilisation" des Westens verteidigen zu müssen glaubte? "The times they are gonna changin'" (wie Bob Dylan in Peking leider nicht hat singen dürfen).

Donnerstag, 21. April 2011

Das chinesische Volk ist in Zeiten der höchsten Amoral angekommen?

Die Hongkonger Zeitung "Dongfang ribao" (Oriental Daily) hat vor ein paar Tagen einen Kommentar zum Stellenwert von Ethik und Moral in der chinesischen Gesellschaft veröffentlicht, der zwei Zeilen der Nationalhymne der VR China satirisch verballhornt. Aus "das chinesische Volk ist in der gefährlichsten Zeit angekommen, jedem Menschen wird der letzte Aufschrei abgerungen" wird in der Version der Oriental Daily "das chinesische Volk ist in einer Zeit der höchsten Amoral angekommen, jeder Mensch stößt einen Seufzer der Machtlosigkeit aus".

Der Kommentar prangert die bei uns teils bekannten, teils weniger bekannten Phänomene der Lebensmittelpanscherei, Schlamperei am Bau, der miesen Arbeitsbedingungen in Kohlegruben und Industrieanlagen, der Korruption und Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal anderer Menschen an. Den Mangel an ethischen Standards in der Gesellschaft sieht der Autor in der Korruption und Willkür der politischen Eliten begründet, also in der Kommunistischen Partei.

Nun trägt das System der Einparteien-Diktatur mit seinem Hang zur Korruption sicher zum Mangel an moralischem Verhalten in China bei, ist meiner Ansicht nach aber nicht der Hauptgrund für das moralische Vakuum, das in China immer stärker wahrgenommen und beklagt wird. Ob und in wie weit es im Westen besser um die Moral bestellt ist, lasse ich jetzt einmal beiseite. Hier soll es ausschließlich um China und die Gründe für seine moralische Misere gehen.

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konnte China sich noch als eine der zivilisiertesten, mächtigsten und wohlhabendsten Nationen der Welt fühlen. Wenige Jahre später jedoch, nach den Opiumkriegen, war es nur noch der "kranke Mann Asiens", Spielball der imperialen Interessen der westlichen Mächte, zerrissen durch Bürgerkriege, geschwächt durch Opium und weit verbreitete Armut. Seit dieser Zeit versucht China weniger, zum Westen aufzuschließen, als den eigenen Status einer Großmacht wieder zu erringen. Der erste Versuch in dieser Richtung war die sogenannte "Selbstärkungsbewegung" der 1860er und 1870er Jahre, die davon aus ging, dem Westen ethisch überlegen und nur technisch-materiell unterlegen zu sein. Folglich betrieb sie ihre Modernisierungsbemühungen unter dem Motto "das Chinesische als Wesenskern, das Westliche für die praktische Anwendung" und beschränkte sich auf die Übernahme westlicher Industrie und (Militär-)Technik, um China wieder "stark und mächtig" (fuqiang) zu machen.

An diesem Ziel hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn in der Zwischenzeit die Mittel, mit denen man es zu erreichen versucht hat, immer wieder gewechselt haben. Und was hat man nicht alles an Ideen und Konzepten als untauglich, überflüssig und hinderlich über Bord geworfen: den Konfuzianismus und die gesamte chinesische Tradition, Republik und Demokratie, Liberalismus und Anarchismus, Militärdiktatur und diverse Spielarten des Marximus-Leninismus, zuletzt den guten alten Maoismus. Nur das Ziel ist geblieben: China muss wieder reich und mächtig werden. Aber reich woran und mächtig wozu? Nur damit China nicht wieder die erniedrigenden Erfahrungen der Kolonialzeit machen muss? Und welche ideellen Ziele bleiben denn noch übrig, nachdem China im Verlauf des letzten Jahrhunderts so ziemlich alle gesellschaftlichen, politischen, philosophischen und weltanschaulichen Modelle verschlissen hat?

"Es ist egal, ob eine Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie fängt Mäuse" hat Deng Xiaoping zu Beginn seiner Reform- und Öffnungspolitik als Motto ausgegeben. Er hatte dabei natürlich die Öffnung der marxistisch-leninistischen Volksrepublik für marktwirtschaftliche Methoden im Sinn. Aber der Satz trifft dennoch auch mitten in das Problem der moralischen Indifferenz des heutigen China: Alles ist erlaubt, alles ist möglich, wenn es nur dem Ziel dient, China wieder an die Spitze der internationalen Hackordnung zu führen. Und warum sollte das nicht auch für jeden Einzelnen gelten? Immerhin hat Deng Xiaoping ja auch die Parole ausgegeben: "Reich zu werden ist ruhmvoll". Und wenn im Reichtum an sich schon ein Wert liegt, dann braucht man sich auch nicht darüber zu wundern, wenn alle alles tun, um solchen zu erwerben: einschließlich des Streckens von Milchpulver durch Chemikalien, an denen dann Säuglinge sterben. Und diese Fixierung auf den materiellen Fortschritt ist eben nicht nur Sache der korrupten politischen Eliten, wie die Oriental Daily annimmt. Dass jeder sich selbst der Nächste sei ist Teil der Grundüberzeugungen vieler Chinesen. Und zwar so sehr, dass bei vielen Dissidenten geargwöhnt wird, hinter deren Engagement müsse noch ein selbstsüchtiges Motiv lauern. Denn ein Eintreten für Überzeugungen rein um der Überzeugung willen, erscheint vielen in China wohl undenkbar zu sein.

Im 12. Jahrhundert stritten die beiden konfuzianischen Gelehrten und Politiker Zhu Xi und Chen Liang über die richtige Politik angesichts der Bedrohung durch die Mongolen. Chen Liang, plädierte dafür, die ganzen ethischen Erwägungen, die für den Konfuzianismus sonst so typisch waren, aufzugeben und mit einer Politik militärischer und ökonomischer Stärke der mongolischen Gefahr zu begegnen. Dabei berief er sich auf die sogenannten Hegemonen aus der Zeit des Konfuzius, die das damals zersplitterte China militärisch geeint, gegen "barbarische" Invasionen erfolgreich verteidigt und damit Konfuzius' Lob errungen hatten. Zhu Xi hielt dagegen an der ethischen Fundierung von Politik fest. Die Erfolge der Machtpolitik der alten Hegemonen stellte er nicht in Abrede. Er wies aber darauf hin, dass diese Erfolge immer nur von kurzer Dauer waren, bis die machtgestützte Herrschaft der Hegemone wieder zusammenfiel. Diese Kurzlebigkeit der hegemonialen Politik führte Zhu Xi auf den Mangel an ethischer Orientierung zurück. Nur eine moralische Basis verleiht einer Politik (und einer Gesellschaft) Dauer und Beständigkeit.

Eine Statue des Konfuzius steht wieder auf dem Platz des himmlischen Friedens. Der Rückgriff auf die Lehren des alten Meisters im heutigen China erscheint aber oberflächlich und leer. Er ist kein ideelles Ziel, das den Machthabern in Peking wirklich am Herzen läge, sondern wiederum nur ein Mittel, mit dem man versucht, der Auswüchse der radikalen Modernisierung Herr zu werden. Und auch wenn das Interesse vieler Chinesen an Konfuzius in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, scheint mir das nicht viel mehr zu sein, als eine Art nationaler Selbstvergewisserung. Man zieht zwar die konfuzianische Robe wieder an, aber es sieht wie eine Verkleidung aus.

Ich hoffe, dass es China gelingt, seine ethische Orientierung zurückzugewinnen. Ansonsten werden nicht nur die Chinesen wenig Freude an ihrem neuerlichen Aufstieg haben.

Samstag, 16. April 2011

Der erfolgreichere Kultur-Trojaner?

Wenn ein Goethe-Institut im Ausland eröffnet wird und seine Arbeit aufnimmt, dann kann man über drei Dinge sicher sein:

1. Das Goethe-Institut wird von der Bundesrepublik Deutschland finanziert (abgesehen von Einnahmen aus Sprachkursen und Spenden).

2. Das Goethe-Institut steht nur für sich selbst und ist mit keiner anderen Institution im Gastland verbunden.

3. Es fördert die Verbreitung der deutschen Sprache und betreibt das, was man etwas altertümlich als "Kulturpropaganda" bezeichnen könnte.

Damit ist die Stellung der Goethe-Institute in den Gastländern klar und deutlich festgelegt. Und egal wie man zur Arbeit der Institute auch immer stehen mag, die Verhältnisse sind transparent und offen.

Nun beglückt die Volksrepublik China seit einigen Jahren die Welt und natürlich auch Deutschland mit sogenannten Konfuzius-Instituten, die auf den ersten Blick genau so funktionieren und ähnliche Aufgaben haben, wie die deutschen Goethe-Institute im Ausland: die Förderung des chinesischen Spracherwerbs und die Verbreitung der chinesischen Kultur. Die Unterschiede sind aber doch bedeutend und zeugen vom Geschick der chinesischen Träger der Institute bei der Verwirklichung ihres Vorhabens.

Die Konfuzius-Institute werden immer unter dem institutionellen Dach einer Universität des Gastlandes gegründet. Die Konfuzius-Institute stehen also nicht nur für sich selbst, sondern sie sind immer das "Konfuzius-Institut an der Universität xy". Damit geniessen die Institute das wissenschaftliche Ansehen der Objektivität einer Hochschule mit, das Programm bekommt quasi ein wissenschaftliches Gütesiegel. Ein Schelm wer arges dabei denkt?

Dann werden die Konfuzius-Institute gemeinsam vom chinesischen Staat und der aufnehmenden Universität des Gastlandes bezahlt. Häufig stellt die Gast-Uni die Infrastruktur (Räumlichkeiten und Ausstattung), die chinesische Seite finanziert das Personal. Dies aber auch nur mit der Auflage, dass sich die Institute nach einer Anlaufphase von einigen Jahren selbst tragen sollen und ihre Personalkosten selbst erwirtschaften. China zieht sich dann aus der Finanzierung zurück. China bekommt seine Kulturpropaganda also zu einem grossen Teil vom Gastland geschenkt. Wer könnte dazu schon nein sagen? Und was passiert, wenn sich ein Institut nach Ablauf der Anlaufphase doch nicht selbst finanzieren kann? Wird es dann zugemacht? Zahlen die Chinesen doch ein wenig länger? Oder kommt dann die freundliche Gast-Universität für alle Kosten auf? Eine etwas fragwürdige Konstruktion, um das wenigste zu sagen. An deutschen Universitäten scheinen aber die Milchmädchen für die Rechnungen zuständig zu sein, denn man braucht sie nur mit der (befristeten) Finanzierung des Personals zu ködern, dann können sie schon nicht mehr widerstehen. Und wenn eine andere Universität auch schon ein Konfuzius-Institut hat, dann will man sich natürlich auch mit einem schmücken können. Denn wenn die anderen der Einrichtung zugestimmte haben, dann kann es doch nicht schlecht sein, oder?

Das Leitung der Institute besteht aus einem Direktor des Gastlandes und einem Vize, den die chinesische Trägerschaft stellt. Das übrige Personal kann teils aus China kommen, teils aber auch aus Deutschland. Nun nimmt der chinesische Staat keinen direkten Einfluss auf die Arbeit der Konfuzius-Institute, aber es versteht sich natürlich von selbst, dass chinakritische Veranstaltungen nicht auf dem Programm stehen und von den Direktoren des Gastlandes in vornehmer Zurückhaltung auch nicht angedacht werden. Es muss ja auch nicht immer Kritik an China sein. Es gibt sehr viel positives und interessantes zu berichten. Aber "nicht kritisch" und einfach "unkritisch" ist dann in meinen Augen doch noch ein Unterschied.

Ein Konfuzius-Institut hatte zur Eröffnung eine Ausstellung über traditionelle chinesische Bildergeschichten (lianhuanhua). Diese funktionieren so ähnlich wie Prinz Eisenherz-Comics, also ohne Sprechblasen, sondern mit Untertiteln. Diese Bildergeschichten haben in China eine lange Geschichte. Anfänge gehen - wenn ich mich recht entsinne - schon auf die Song-Dynastie zurück. Diese ganze Geschichte wurde in der Ausstellung ausführlich mit Bild und Text dokumentiert. Über die Bildergeschichten in der Zeit des Maoismus erfuhr man aber nur einen einzigen Satz, der ungefähr lautete "auch die neue chinesische Regierung förderte diese schöne traditionelle Kunst nach 1949 weiter". So kann man es natürlich auch nennen. In den Kampagnen und Massenbewegungen der Mao-Zeit waren die Bildergeschichten ein wichtiges und häufig verwendetes Mittel der politischen Propaganda und der Diffamierung und Blossstellung politischer Gegner. Darüber allein hätte man eine eigene Ausstellung machen können. Material genug gäbe es. Aber der geneigte und interessierte Ausstellungsbesucher erfuhr darüber natürlich nichts, hat aber sicher gedacht, wenn es unter dem Dach und dem Logo der Universität stattfindet, muss es ja Hand und Fuss haben. Und so beteiligt sich eine den Idealen der Objektivität und Wissenschaftlichkeit verpflichtete Institution an der Schönfärbung der chinesischen Geschichte. In Peking wird man sich die Hände reiben (Siehe auch diesen lesenswerten Artikel der SZ).

Und bei uns war man stolz darauf, der chinesischen Regierung über eine von Deutschland finanzierte Ausstellung ein bisschen deutsche Aufklärungskunst unterzujubeln. Und was hat man damit letztlich erreicht? Wir haben der chinesischen Regierung eine Gelegenheit geschenkt zu zeigen, dass sie nicht nur ihre Dissidenten, sondern auch ausländische Kritiker und die deutsche Aufklärung voll im Griff hat.

Was self-promotion anbelangt, kann Deutschland von China noch eine ganze Menge lernen.

Donnerstag, 14. April 2011

Wollen die Deutschen, dass wir den Feudalismus wieder einführen?

In chinesischen Blogs und Online-Foren lassen sich die ersten Reaktionen auf die Ausstellung "Kunst der Aufklärung" im chinesischen Nationalmuseum in Beijing finden. Leider sind diese nicht sehr schmeichelhaft und zeigen, dass die Ausstellung nicht so ankommt, wie sich das die deutschen Kuratoren wohl gedacht und erhofft haben. Die relativ geringe Zahl der Beiträge verdeutlicht aber auch, dass die Aufregung um die Ausstellung hierzulande in China eher unter der Rubrik "wenn in Deutschland ein Sack Kartoffeln um fällt" gehandelt wird.

Hauptkritikpunkt ist die Auswahl der Exponate. Einige Chinesen haben den Eindruck, die Deutschen hätten wohl die hintersten Reihen ihrer Magazine geplündert, weil man davon ausgehe, dass die Chinesen ohnehin keine Ahnung von westlicher Kunst hätten und mit irgendwelchen Werken aus der dritten Reihe abgespeist werden könnten. Bekannte Namen, berühmte Werke? (Fast) Fehlanzeige. Hier mal ein Caspar David Friedrich, da mal ein Watteau. Aber sonst? Gediegenes Mittelmaß. Diese chinesischen Besucher sind sauer und fühlen sich verschaukelt: Jahrelang wird die Ausstellung vorbereitet, zur feierlichen Wiedereröffnung des neu gestalteten Museums soll sie den Glanz deutscher Hochkultur beisteuern und dann das?

Ich teile nun nicht die Meinung dieser chinesischen Kritiker, die Deutschen wollten mit einer bewusst zweitklassigen Auswahl an Exponaten ihre Geringschätzung gegenüber China ausdrücken. Aber offensichtlich ist hier doch etwas ganz entschieden schief gelaufen in der Verständigung zwischen uns und den Chinesen. Ich vermute, die Ausstellungsmacher hatten vor allen Dingen ihre Botschaft im Sinn, als sie sich an Auswahl und Zusammenstellung der Exponate machten: Was kann das Leben in Deutschland zur Zeit der Aufklärung am besten verdeutlichen und anschaulich machen? Die künstlerische Qualität (die ohnehin nur schwer messbar ist) und der Bekanntheitsgrad der Werke spielten dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Solide deutsche Museumspädagogik also, die in Deutschland vielleicht auch ihre Berechtigung hat. Hier hat man die großen und berühmten Werke schon hundert Mal gesehen, kennt sie in- und auswendig und interessiert sich dementsprechend auch für kleinere Details und Zusammenhänge. In China ist der Nachholbedarf aber noch groß. Viele Menschen hatten noch nie Gelegenheit, die repräsentativen Werke der Epoche (oder das, was man dafür halten mag) genauer in Augenschein zu nehmen. Wenn diese chinesischen Kunstliebhaber "Kunst der Aufklärung" hören, wollen sie zunächst einmal die absoluten Kracher sehen und nicht ein gut gemeintes Gespinst von Möbeln, Kleidern und Bildern, das zeigen soll, wie man in der Epoche gelebt hat. Hinzu kommt, dass viele Chinesen die gut patriotische Ansicht vertreten, zur Eröffnung eines der bedeutendsten Museen des Landes, gelegen am wichtigsten Platz und symbolischen Zentrum Chinas, im Herzen der Hauptstadt, hätten die Deutschen dem Gastgeber ruhig mit einer höher karätigen Ausstellung etwas mehr Ehre antun können. Statt dessen fuchteln die Deutschen mal wieder mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger vor dem Gesicht der Chinesen herum, schlecht verhüllt nur durch die schönen Künste. Gut gemeint ist eben noch nicht gut gemacht und auch nicht gut durchdacht.

In den Webforen stellen die chinesischen Kritiker aber auch ein paar inhaltlich interessante und berechtigte Fragen. Der "erzieherische" Charakter der Ausstellung ist bei den Leuten durchaus angekommen. Leider falten sie nicht fromm die Hände, spitzen die Ohren und lauschen der Lektion deutscher Aufklärung, sondern fragen rotzfrech zurück: Was wollt ihr Deutschen uns sagen, wenn ihr uns Gemälde zeigt mit idyllischen Familienszenen aus europäischen Herrscherhäusern? Dass wieder den Feudalismus einführen sollten? In wie fern trägt es zu unserer Aufklärung bei, uns Porträts von Mätressen irgendwelcher Potentaten anzuschauen? Und was hat Caspar David Friedrich mit Aufklärung zu tun, wo der Romantik doch ein gewisses gegen-aufklärerisches Element innewohnt?

Vielleicht wäre eine Ausstellung über die Kunst des deutschen Biedermeier besser gewesen und hätte mit einem lächelnden Augenzwinkern über die Schwächen der Deutschen und aller übrigen Untertanen, die es sich im goldenen Käfig der Bevormundung durch die Obrigkeit bequem machen, erfolgreicher sein können. Ich denke, die Chinesen könnten sich für den guten alten Spitzweg durchaus erwärmen. "Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben"! Aber das wäre ja unseren hehren Selbstansprüchen nicht gerecht geworden.

Only Nixon could go to China

Der us-amerikanische Präsident Richard Nixon war bekannt als beinharter Anti-Kommunist. Um so überraschender kam es für die Zeitgenossen, als er 1972 der Volksrepublik China den ersten Besuch eines amerikanischen Staatsoberhauptes abstattete und damit die Beziehungen zwischen den USA und China zu normalisieren begann.

Das Ereignis wurde sprichwörtlich: "Only Nixon could go to China" - "nur Nixon konnte nach China gehen". Gemeint ist damit, dass es eines ausgewiesenen Hardliners und Anti-Kommunisten bedurfte, um diesen radikalen Kurswechsel in der amerikanischen Außenpolitik durchsetzen zu können. Bei jedem anderen amerikanischen Politiker wäre ein solcher Schritt gleichbedeutend mit politischem Selbstmord gewesen. Man hätte ihn sofort als Kommunisten-Freund beschimpft und ihn des Verrats an amerikanischen Interessen bezichtigt.

Man könnte das Sprichwort aber auch noch anders interpretieren: Nur ein ausgewiesener Hardliner und Anti-Kommunist wie Nixon verfügte in China über den notwendigen Respekt und die Haltung, um als Partner ernst genommen zu werden. Paradoxer Weise war gerade Nixon ein verlässlicher Partner aus chinesischer Sicht, weil die Regierung in Peking davon ausgehen konnte, dass eine Zusage, die Nixon machte, auch eingehalten werden würde. Hinzu kam, dass ein auf Macht und Stärke basierendes Regierungssystem wie das chinesische, mit einem gleichrangigen und gleichartigen Partner besser zurecht kommen konnte, als mit einem liberalen Freigeist, der so ganz anders veranlagt gewesen wäre, als die Politiker in Peking selbst. Anders ausgedrückt: "Tricky Dick", wie Nixon in den USA aufgrund seiner skrupellosen Methoden im innenpolitischen Machtkampf auch genannt wurde, war genau das geeignete Gegenüber für den alten Fuchs und Guerillaführer Mao Zedong.

Aber für Nixon ist es natürlich viel leichter gewesen, in den Verhandlungen mit China auch einmal "nein" zu sagen, um damit die eigene Position zu stärken. Er hatte es noch nicht mit dem verlockenden Markt von 1,3 Milliarden potentieller Kunden, der dynamischsten Volkswirtschaft der Welt zu tun, vor dessen Tür die willigen Aspiranten auf den Status eines Partners Schlange standen. Damals war die VR China noch ein international isolierter Paria, bedroht von der rivalisierenden Sowjetunion und zerrissen und geschwächt durch die Kämpfe der Kulturrevolution.

Heute hat sich die Situation grundlegend gewandelt. "Die Rollen von Gast und Gastgeber haben sich vertauscht", wie man in China sagt. Folgerichtig lassen sich westliche Regierungen immer häufiger von Peking diktieren, unter welchen Bedingungen sie mit China in Kontakt treten. "Wandel durch Annäherung" ist dann die Rechtfertigung für immer neue Zugeständnisse gegenüber dem chinesischen Regime. Dabei ist die Frage gar nicht die zwischen "Annäherung" oder "Konfrontation". Was wir brauchen ist "Kooperation", das Zusammenwirken von gleichberechtigten und gleich selbstbewussten Partnern. Wir werden uns in Zukunft sicher immer häufiger an chinesischen Besonderheiten reiben und abarbeiten müssen. Ebenso werden sich die Chinesen mit unseren Eigenheiten auch auseinandersetzen und mit ihnen zurecht kommen müssen. Daran werden beide Seiten wachsen. Für den Westen wäre übrigens ein demokratisches China nicht unbedingt ein bequemerer Partner. Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, dass deutsche Unternehmer kritische Fragen westlicher Journalisten in China ausbuhen, um sich die angenehme Geschäftsatmosphäre nicht stören zu lassen?

Mittwoch, 13. April 2011

Mit seinem warmen Gesicht am kalten Hintern des anderen kleben

In Peking ist das Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Frieden nach Plänen eines deutschen Architekten erneuert und erweitert worden. Zur seiner Eröffnung wird eine Sonderaustellung zur "Kunst der deutschen Aufklärung" gezeigt, die vom deutschen Aussenministerium geplant, gefördert und mit 10 Millionen Euro allein bezahlt wurde. Sozusagen ein Geschenk der deutschen Regierung an China und das chinesische Volk.

Ein Danaergeschenk, das die Gedanken von Humanität, Aufklärung, Freiheit und Demokratie in einer scheinbar harmlosen Kunstschau verbirgt und so in die chinesische Diktatur hineinschmuggelt, ist die Ausstellung dennoch nicht. Dafür ist die Veranstaltung zu bieder, wie auch die Zeit in einem ausführlichen Artikel feststellt. Hu Jintao wird sich in der Ausstellung vielleicht ja sogar selbst wiederfinden, wenn er sich das Porträt von Friedrich dem Großen anschaut: "Ich bin auch nur der erste Diener meines Staates, der für die Entwicklung seines Landes hart arbeitet", wird er dann denken. Nur dass der Alte Fritz mit Voltaire Briefe ausgetauscht und ihn nicht ins Gefängnis geworfen hat. Aber Voltaire hat auch nicht Demokratie und Abdankung des Königs gefordert.

Trotzdem hat sich die deutsche Seite sicher mehr von der Ausstellung erhofft, zumindest einen offenen Dialog über die Inhalte der Ausstellung. Wie schon früher im Verhältnis zur Sowjetunion und dem Ostblock lautet das Zauberwort "Wandel durch Annäherung". China hat nun aber durch sein Verhalten gezeigt, dass die Annäherung ausschliesslich zu den eigenen Bedingungen stattfinden soll und keinen Wandel beinhalten wird. Zumindest keinen, der nicht von der Pekinger Regierung auch gewollt wäre.

Kurz vor der Reise von Aussenminister Westerwelle zur Museumseröffnung nach Peking wurde dem deutschen Sinologen und Journalisten Tilman Spengler ein Visum verweigert, weil er kein "Freund des chinesischen Volkes" sei. Spengler hatte eine Laudatio auf den Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo gehalten und damit den Unmut der chinesischen Regierung erregt. Annähernd zeitgleich zum Abflug der deutschen Delegation aus Bejing wurde dann auch noch der international bekannte Künstler und Regime-Kritiker Ai Weiwei verhaftet. Die Botschaft der chinesischen Regierung ist klar und unmissverständlich: Wir nehmen eure Geschenke gerne an. Aber glaubt ja nicht, dass ihr deswegen von uns irgendein Entgegenkommen erwarten dürft. Wir tun in unserem Land was immer wir wollen und für richtig halten und ihr könnt nichts daran ändern, sondern müsst bei uns nach unseren Regeln spielen. Die deutsche Seite fühlt sich nun düpiert und vorgeführt. Das sollte sie auch, denn das war wahrscheinlich genau die Absicht der chinesischen Seite, die dahinter steckt.

"Das Huhn schlachten, um den Affen zu erschrecken" ist ein altes chinesisches Sprichwort, das sich bei Mao Zedong einer großen Beliebtheit erfreute. Spengler und Ai Weiwei sind die Hühner, an sich ohne jede eigene größere Bedeutung. Aber dem deutschen Affen musste einfach mal gezeigt werden, was passiert, wenn er allzu übermütig dem Herrn auf der Nase herumtanzen will. China zeigt uns die kalte Schulter und wir kommen trotzdem immer wieder angeschlichen, machen uns noch kleiner und bieten unsere Dienste noch wohlfeiler an. In China spricht man anstatt von der "kalten Schulter" vom "kalten Hintern". Dürfen wir uns wirklich wundern, dass der sich an unserem warmen Gesicht eisig anfühlt? Und dürfen wir hoffen, ihn irgendwann einmal mit unseren Annäherungsversuchen anwärmen zu können? Tilman Spengler geht davon aus, wenn er sich in dem oben verlinkten Interview gegen einen Abbruch der Ausstellung ausspricht. Aber auch bei uns gibt es schöne Sprichwörter. Und eines davon lautet "Only Nixon could go to China". Aber davon an anderer Stelle mehr.