Donnerstag, 5. Mai 2011

Da waren's nur noch neun ...

Als am 11. September 2001 die beiden American Airlines Flugzeuge von ihren Entführern in die WTC-Türme gelenkt wurden und knapp dreitausend Menschen in dem Inferno ums Leben kamen, waren leider auch in China eine ganze Reihe von Stimmen zu hören, die sich mit Schadenfreude und Genugtuung über die Anschläge äußerten: Endlich hatte es mal jemand den anmaßenden Amerikanern gezeigt; endlich war dem selbst ernannten "Weltpolizisten" seine eigene Verwundbarkeit und Schwäche vorgeführt worden. Mit einigem Unbehagen stellte ich damals fest, dass nicht nur die "üblichen Verdächtigen" aus dem Lager der Ultra-Nationalisten den Terrorakt gut hießen, sondern auch ansonsten durchaus kritisch eingestellte Chinesen eine ähnliche Meinung vertraten. Ein latenter Anti-Amerikanismus ist (auch) in China eben weit verbreitet.

Jetzt, nach der Tötung Bin Ladens durch eine amerikanische Spezialeinheit, war ich gespannt, wie die Reaktion hierzu in den chinesischen Internet-Foren ausfallen würde. Mein erster Eindruck: der Ton ist ein ganz anderer, zurückhaltender und nachdenklicher geworden. Was können die Gründe hierfür sein?

Es gibt sie natürlich auch heute noch, die "ärgerlichen Jugendlichen" (fenqing), die in Bin Laden einen Helden des anti-amerikanischen Widerstandskampfes sehen und seine Tötung bedauern und verurteilen. Und es gibt natürlich ebenso noch die alten und neuen Maoisten, die Bin Laden und Al-Qaida zwar als Terroristen kritisieren und seinen Tod gut heißen, die aber im "amerikanischen Imperialismus" den weitaus größeren Terroristen zu erblicken meinen.

Die meisten Kommentare waren aber anderer Natur. Auf einer Diskussionsseite des normalerweise sehr knackigen Qiangguo luntan (Forum zur Stärkung des Landes) der Parteizeitung Renmin ribao überwiegen zwar die kritischen Stimmen zur Tötung Bin Ladens, dabei wird aber eher auf die Wirksamkeit und die längerfristigen Folgen dieser Kill-Mission abgestellt, als den USA die generelle Berechtigung zu so einem Schritt abgesprochen. Das hängt natürlich auch mit der offiziellen Haltung der chinesischen Regierung zusammen, welche die Tötung Bin Ladens begrüßt hat, weil sie sich in Xinjiang selbst als ein Opfer des internationalen islamistischen Terrorismus sieht (mit welcher Berechtigung sei hier einmal dahin gestellt).

Mir fällt auf, dass das Interesse an dem Ereignis eigentümlich gering ist und die meisten Menschen in China eher kalt zu lassen scheint. Nach meinen Erfahrungen vom September 2001 hätte ich erwartet, dass die Empörung über das eigenmächtige Vorgehen der amerikanischen Regierung deutlicher ausfallen würde. Zumal Pakistan als alter chinesischer Verbündeter durch diese Aktion ohne Einverständnis und Information der pakistanischen Regierung düpiert worden ist. Vielleicht hat ja die Welle nationalistischer Erregbarkeit in China ihren Zenith überschritten? Das würde mich freuen. Vielleicht war aber auch nur der Anlass nicht der richtige und Bin Laden einfach doch der falsche Verbündete - selbst aus Sicht chinesischer Nationalisten. Vielleicht beanspruchen aber auch die Alltagsprobleme angesichts der stark steigenden Inflation die gesamte Aufmerksamkeit und Kraft der meisten Chinesen, so dass ihnen das Schicksal eines bin Laden einfach fern liegt.

Für diese letztere Interpretation spricht vielleicht, dass einige Kommentare im chinesischen Internet selbst dieses Thema noch mit der Situation im eigenen Land und einer Kritik an der chinesischen Regierung verknüpfen. So meinte ein Nutzer lakonisch, dass von den zehn größten Terroristen weltweit jetzt nur noch neun übrig seien. Neun ist die Zahl der Mitglieder im aktuellen ständigen Ausschuss des Politbüro der KPCh. Und da muss man auch keinem Chinesen extra erzählen, wer wohl mit diesen anderen neun "Terroristen" gemeint sein könnte. Ein anderer kommentierte die Nachricht von Bin Ladens Tod mit einem Witz über Al-Qaida: "Einmal schickte Al-Qaida einige Terroristen nach China, um dort Bombenanschläge zu verüben. Einer der Attentäter wollte einen Bus in die Luft sprengen, konnte sich aber nicht in den überfüllten Bus hineinquetschen. Einer hatte sich einen Supermarkt als Ziel ausgesucht, aber ihm wurde die Bombe aus dem Einkaufskorb gestohlen. Einer wollte einen Zug in die Luft jagen, aber alle Tickets waren ausverkauft. Schließlich gelang es einem, ein Kohlebergwerk zu sprengen, mehrere hundert Kumpel kamen ums Leben. Der Attentäter kehrte ins Al-Qaida-Huptquartier zurück, um auf die Bestätigung in den Fernsehnachrichten zu warten, aber über den Vorfall wurde nicht berichtet. Daraufhin wurde der Mann als Lügner von Al-Qaida liquidiert".

Wenn selbst die Tötung Bin Ladens durch die USA für eine Kritik an der eigenen Führung benutzt wird, dann sollten sich Hu, Wen und Genossen wirklich Gedanken machen. China taucht sehr tief in den Wogen von Globalisierung, Modernisierung und rapider wirtschaftlicher Entwicklung. Sollte die Schutzhülle des Patriotismus so langsam dem Außendruck bürgerlicher Unzufriedenheit und sozialer Unruhe nachzugeben und zu lecken beginnen? (Sorry, aber diese Abwandlung der Staatsschiff-Metapher in Anlehnung an den Film "Das Boot" war einfach zu verlockend. Schon die alten Chinesen haben ja gewusst, dass das Volk, wie das Wasser ist, auf dem das Schiff des Staates schwimmt, das es aber auch kentern lassen kann. Der "große Steuermann" - auch hier bleiben wir im Bild - hat dann gesagt, der Rotarmist solle sich im Volk bewegen, wie der Fisch im Wasser schwimmt. Wenn ich davon ausgehe, dass mit der Staatsgründung der VR sich der Fisch zum Staatsschiff gemausert hat, dann sind wir endlich beim U-Boot angekommen. Der "große Steuermann" war also eigentlich ein "Herr Kaleun" - Jürgen Prochnow, übernehmen Sie!)

Eine Zusammenstellung von ein paar Forumseinträgen in englischer Übersetzung finden sich hier.

3 Kommentare:

  1. Bin-Laden wird wohl nicht zuletzt Xinjiangs wegen ambivalent gesehen. Die Wut der fenqings war eigentlich schon immer eine Doppelwut gegen Ausland und Inland. Sie äußert sich nur besonders oft gegen das Ausland.
    Es ist ja auch gemütlicher, die KP Chinas auf einer patriotischen Spur zu überholen, als auf einer innenpolitischen.
    Einen Bürgerrechtler kann man relativ leicht verhaften. Einen "aufrechten Patrioten"? Viel Glück damit!

    Als Verbündeter wird Pakistan wohl vor allem von der chinesischen Führung gesehen - chinesische Nachrichtenleser sehen das vielfach anders (eine interessante Parallele zwischen China und Amerika, scheint mir).

    Ich kenne mehrere Chinesen, die zeitweilig in Pakistan "auf dem Bau" gearbeitet haben. Viel Völkerfreundschaft war da nicht. Nur Zufriedenheit über die verdiente Kohle, und die Erleichterung, endlich wieder zu Hause zu sein.

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  2. P.S.: das Posten obigen Kommentars hat erst im dritten Anlauf funktioniert, obwohl ich alle Verifikationsschritte gewissenhaft befolgt habe... Mit Mein Tipp: wechseln Sie zu Wordpress, bevor Sie richtig lange gebloggt haben - Ihr Blog ist nicht der einzige, der bei den Kommentaren Probleme hat. Mit "Open-ID" funktionierte es hier gerade gar nicht.

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  3. Vielen Dank für den Hinweis mit der Kommentarfunktion. In der Tat wollte ich mit diesem Blog erst einmal ausprobieren, wie das alles so funktioniert und mich dann in Kürze eventuell noch einmal umorientieren. Wordpress hatte ich mir ursprünglich auch schon mal überlegt, dachte dann aber, dieses hier sei für den Anfang vielleicht einfacher.

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