Freitag, 27. Mai 2011

Deutsche Welle

Erinnern Sie sich noch an den "Skandal" um eine allzu chinafreundliche Berichterstattung im chinesischsprachigen Programm der Deutschen Welle? Im Jahr der Olympischen Spiele in Peking 2008 hatte die stellvertretende Leiterin der China-Sparte der Deutschen Welle, Zhang Danhong, mit ihrer Kritik an der negativen deutschen China-Berichterstattung für Aufsehen gesorgt. Schnell wurde der Vorwurf laut, das chinesische Programm der Deutschen Welle berichte tendentiös wohlwollend und anbiedernd über die Diktatur in China. Zeitweise wurde Zhang Danhong von der Gestaltung von Programminhalten entbunden und die China-Berichterstattung des Senders wurde einer Prüfung unterzogen. Auch in China sorgte der Fall für Empörung, der Vorwurf einer Kampagne gegen China wurde erhoben und selbst die Nazi-Keule wurde ausgepackt: So lange die Deutschen wie zu Zeiten des Dritten Reiches die freie Meinungsäußerung unterdrückten, sollten sie doch zur Zensur in China lieber den Mund halten. Der Großteil der Debatte ist hier ganz gut zusammengefasst und wiedergegeben.

Nun sind drei chinesische Redakteure der Deutschen Welle, die sich damals auf die Seite von Zhang Danhong gestellt hatten, entlassen worden, bzw. ihre Verträge wurden nicht weiter verlängert. In einem offenen Brief wenden sich die drei an ihren bisherigen Arbeitgeber und beschuldigen ihn, sie wegen der damaligen Affäre abzustrafen. In dem offenen Brief verteidigen sie auch noch einmal ihre Kollegin Zhang Danhong und werfen der Deutschen Welle vor, mit allen Mitteln eine chinakritische Berichterstattung durchzudrücken.

Hat sich Zhang Danhong nun eine tendentiöse Berichterstattung zu Schulden kommen lassen? Oder versucht der Sender vielmehr, eine bestimmte Linie im Programm auf Biegen und Brechen durchzusetzen? Die Vorwürfe und Gegenvorwürfe sind nur schwer zu entwirren und eine qualifizierte Bewertung scheint kaum möglich zu sein. Trotzdem möchte ich versuchen, verschiedene Punkte abzuwägen und die Vorgänge zu interpretieren.

Die Deutsche Welle hatte den renommierten Journalisten Ulrich Wickert (sein Vater war erster deutscher Botschafter in Peking nach Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen 1976) mit der Begutachtung des chinesischsprachigen Programms der Deutschen Welle beauftragt. Wickert hielt die Vorwürfe an Zhang Danhong für haltlos und unbegründet, das Gutachten wurde von der Deutschen Welle aber nicht im Wortlaut veröffentlicht, sondern unter Verschluss gehalten. Das ist schon ein bisschen seltsam und legt den Schluss nahe, dass die Deutsche Welle entgegen besseren Wissens ihrer Journalistin einen Maulkorb verpasst hat, um einem china-kritischen Mainstream Genüge zu tun. Auffällig ist auch, dass ich die Meldung über den zurückgehaltenen Wickert-Bericht auf den Seiten der FAZ nicht finden konnte, die das Hauptmedium der Kritik an Zhang Danhong gewesen war. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt?

Aber auch auf Seiten Zhang Danhongs und ihrer drei Unterstützer gibt es einige Ungereimtheiten. So heißt es in dem offenen Brief lapidar, die China-Redaktion der Deutschen Welle sei ausgetauscht worden, nachdem Zhang Danhong in einem Interview auf der Homepage des Senders versucht hatte, die schweren Vorwürfe "einer in den USA lebenden chinesischen Dissidentin" zu widerlegen. Warum wird der Name dieser Dissidentin verschwiegen? Vielleicht weil diese "in den USA lebende chinesische Dissidentin" die renommierte Ökonomin He Qinglian ist, deren einflussreiches Buch China in der Modernisierungsfalle in deutscher Übersetzung bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen ist? He Qinglian hatte bis 2005 regelmäßig für die Deutsche Welle Kommentare zu China-Themen geschrieben und wurde dann von Zhang Danhong gebeten, diese Tätigkeit einzustellen. In einem Interview mit der FAZ erhob He Qinglian den Vorwurf, die Beendigung ihrer Tätigkeit als Kommentatorin sei auf politischen Druck auf die Deutsche Welle aus Peking zurückzuführen. Mir erscheint diese Anschuldigung zwar verständlich, aber kaum begründet zu sein. In der Tat schreibt ein Mitarbeiter der Deutschen Welle in seinem Blog, es habe damals wirklich einen Beschluss des Senders gegeben, nur noch fest angestellt Mitarbeiter der Deutschen Welle als Kommentatoren einzusetzen, weil Kommentare in besonderer Weise den Standpunkt des Senders repräsentieren. Das ist auch ein nachvollziehbarer Grund. In dem oben erwähnten Interview von Zhang Danhong (auf den Seiten der Deutschen Welle ist das Interview leider nicht mehr zu finden) bezieht sie sich ebenfalls auf diese Anweisung des Senders.

In dem offenen Brief der drei ehemaligen Mitarbeiter der Deutschen Welle wird allerdings verschwiegen, dass Zhang Danhong dieses Interview offenbar mit sich selbst geführt hat. Das heißt, sie hat selbst die Fragen formuliert, sich von einer Mitarbeiterin stellen lassen und das ganze dann online veröffentlicht, ohne auf diese besonderen Entstehungsumstände hinzuweisen. So berichtet es jedenfalls die FAZ. Erst diese Vorgehensweise habe zu den empörten Reaktionen des Senders geführt, weil Zhang Danhong ihn als ein Instrument privater Rache missbraucht habe.
Entgegen dem Gutachten von Ulrich Wickert wollte der Deutschlandfunk in einer stichprobenartigen Untersuchung der Online-Inhalte des chinesischsprachigen Programms der Deutschen Welle dann tatsächlich schwerwiegende Verstöße gegen die Objektivität der Berichterstattung festgestellt haben. So seien aus "tibetischen Protesten" auf den deutschen Seiten "gewalttätige Krawalle" auf den chinesischen geworden, aus "Demonstranten" "tibetische Separatisten". Der Bericht des Deutschlandfunks nennt außer einigen wenigen Beispielen leider keine Quellen und ist damit nicht nachprüfbar. Ich habe die chinesischsprachigen Seiten der Deutsche Welle mal selbst durchforstet und keine unseriöse oder tendentiöse Berichterstattung finden können, KPCh-typischen Propagandasprech wie die oben zitierten "tibetischen Separatisten" schon gar nicht. Vielleicht sind die Seiten ja auch mittlerweile gesäubert, aber da das Internet ja bekanntlich nichts so schnell vergisst, hätte man doch sicher irgendetwas finden sollen.

Mein Fazit: Zhang Danhong hat die einseitig negative China-Berichterstattung deutscher Medien öffentlich kritisiert und versucht, mit dem Hinweis auf einige positive Aspekte etwas gegenzusteuern. Da haben vielleicht auch ein paar patriotische Gefühle auf ihrer Seite eine Rolle gespielt, wie bei vielen anderen Chinesen auch, die trotz einer regimekritischen Grundeinstellung empfindlich reagieren, wenn auf ihrem Heimatland (von Ausländern) herumgehackt wird. Ein überempfindlicher Medienmainstream, der keine Differenzierungen und Schattierungen liebt, hat dann in typischer Weise überreagiert und Zhang Danhong als fünfte Kolonne Pekings abzustempeln versucht. Denn wenn China ein autoritärer Staat ist, der die Menschenrechte missachtet, dann kann, dann darf er nichts Gutes haben, über das man berichten könnte. Auch diesen Standpunkt muss man verstehen, denn wir haben wahrlich viel zu oft gehört, dass Hitler doch immerhin die Autobahnen gebaut habe. Die missverständliche Geschichte mit den Kommentaren von He Qinglian kam dann etwas unglücklich hinzu. Und in dieser aufgeladenen und vergifteten Atmosphäre haben sich dann beide Seiten zu unschönen Fouls hinreißen lassen: der Sender zur Zurückhaltung des Wickert-Gutachtens, das Zhang Danhong rehabilitiert hätte; Zhang Danhong zur Inszenierung des Interviews mit sich selbst, um die private Rechnung mit He Qinglian zu begleichen. Alles in allem ist der gesamte Vorgang schade, traurig, unnötig und von Kleinlichkeiten gekennzeichnet.

Dienstag, 24. Mai 2011

Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter!

So ist ein Bild betitelt, welches auf einen Entwurf von Kaiser Wilhelm II. zurückgeht und vor der "gelben Gefahr" Chinas warnen sollte (die Abbildung im zugehörigen Wikipedia-Artikel). Manchmal hat man den Eindruck, dass unser Bild von China und vor allem unsere Berichterstattung über China immer noch nicht viel anders (besser!) ist als damals. Gerade im letzten Blogeintrag habe ich mich selbst mal wieder über die China-Berichterstattung des Spiegel geärgert. Das geht aber nicht nur mir so, sondern anderen auch. Vor ein paar Tagen hat der deutsche, in China lebenden Schriftsteller, Christian Y. Schmidt in einem Interview mit dem Spiegel (!) harsche Kritik an der China-Berichterstattung gerade in den deutschen Medien geübt. Gleichzeitig veröffentlichte der Doppelpod einen transkribierten Vortrag des nämlichen Christian Y. Schmidt zum Thema "Wie frei ist die deutsche Presse wirklich?".

Trotz meiner Unzufriedenheit mit vielen negativen und einseitigen Berichten über China in den deutschen Medien, teile ich die weitgehende Kritik Schmidts nicht. Pressefreiheit ist ein institutionelles Gut, das bei uns - abgesehen von einigen wenigen rechtlich klar definierten Einschränkungen, bspw. der Holocaust-Leugnung - gewährleistet und geschützt ist. In so fern ist die deutsche Presse frei. Wie sie diese Freiheit nutzt, und ob sie diese Freiheit in bestimmten Fällen ausreichend nutzt, ist eine andere Frage. Die Verflechtungen von Politik, Medien und Unternehmen, die Schmidt in seinem Vortrag anspricht, schränken die Pressefreiheit in Deutschland nicht ein. Da schießt er, nach meinem Empfinden, über das Ziel hinaus. Natürlich braucht die Bundesregierung für den Posten des Pressesprechers einen erfahrenen Medienprofi und wählt daher in der Regel Journalisten für diese Aufgabe. Sie tut dies aber nicht, um die Medien in einem Sinne zu beeinflussen, der die Unvoreingenommenheit der Presse in Frage stellte. Da schiebt Schmidt einem normalen Vorgang ein unlauteres Motiv unter. Ob Steffen Seibert oder einer seiner Vorgänger: ich denke, diese haben sich alle als Journalisten genau so bemüht, eine kritische Berichterstattung zu liefern, wie sie als Regierungssprecher versucht haben, den Standpunkt der Bundesregierung gut zu kommunizieren. Das sollte zum Berufsethos dieser Leute gehören. Dass es dennoch auch Probleme gibt, ist klar - nichts ist leider perfekt. So zeigt der Fall Brender den fatalen Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr deutlich. Die heftigen kritischen Reaktionen in allen Medien und sogar aus Teilen der Berliner Regierungskoalition zeigen aber doch auch, dass die Kontrollfunktion der Presse durchaus funktioniert. Ich denke, längerfristig hat Koch dem Einfluss der Politik mit seinem Vorgehen einen Bärendienst erwiesen, denn dieser Vorgang wird bei einer Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages sicher noch eine Rolle spielen.

Wenn die deutschen Medien einseitig berichten, und sie tun dies häufig und nicht nur über China, dann sind die Gründe meines Erachtens viel banaler, als eine beschnittene Pressefreiheit: es gibt in vielen Themenbereichen einen Meinungsmainstream, dem sich in einem Herdentrieb viele Menschen anschließen, ohne sich die Mühe zu machen und die Zeit zu nehmen, selbst zu prüfen und selbst zu überlegen. Wir leben in einer schnelllebigen und komplexen Zeit, da lassen wir uns eben die paar festen Gewissheiten, die wir noch zu haben glauben, nur ungerne nehmen. Die ewigen Wahrheiten des Neoliberalismus gehörten bis vor kurzem beispielsweise noch dazu. Ich kann mich noch gut an ein Interview erinnern, das der Deutschlandfunk (ja wohl das Flaggschiff eines kritischen und unabhängigen Journalismus) mit Heiner Geißler anlässlich des Erscheinens seines Buches Was würde Jesus heute sagen? geführt hat: Das Unverständnis der Interviewers für die kritischen Thesen Geißlers zum modernen Finanzkapitalismus war geradezu körperlich zu spüren. Das lag komplett außerhalb seines Vorstellungshorizontes. Und es brauchte erst des Finanzcrashes von 2008, um die Vorherrschaft dieses Mainstreams aufzubrechen (der sich bei diesem Thema jetzt in entgegengesetzter Richtung neu etabliert hat).

Aber zurück zu China: Warum ist die Berichterstattung zu China häufig so voreingenommen und negativ? Weil wir den Chinesen ihren wirtschaftlichen und politischen Aufstieg missgönnen, wie man in China oft vermutet? Weil wir alte Vorurteile pflegen und zu bequem sind, uns über China richtig zu informieren? Ich denke, der Grund ist ganz einfach: Wir haben Angst vor China. Nicht davor, dass unsere Arbeitsplätze dorthin abwandern, oder unsere relative ökonomische Macht bröckelt, oder unsere Devisen nach Peking abfließen, oder China sein Militärbudget massiv aufstockt. Am Grunde unserer Angst liegt die Befürchtung, dass China uns die Systemfrage erfolgreich stellen könnte. Und damit wären wir auch wieder bei unseren "heiligsten Gütern" und damit auch wieder bei der Pressefreiheit.

Als es noch die Sowjetunion und den Ostblock gab, waren wir massiv militärisch bedroht. Aber wir konnten uns ziemlich sicher sein, über das attraktivere politische System zu verfügen. Schließlich brauchte die DDR die Mauer ja nicht, um Scharen von politischen Flüchtlingen aus dem Westen abzuwehren. Der Sowjetkommunismus war zu unattraktiv, um eine wirkliche Konkurrenz zu sein. Aber der Sozialismus chinesischer Prägung mit seinen atemberaubenden wirtschaftlichen und politischen Erfolgen ist da eine ganz andere Herausforderungen. Weniger Demokratie, weniger Parlamentarismus und eine gelenkte öffentliche Meinung als Erfolgsrezept im globalen Wirtschaftswettbewerb. Schon vor zehn Jahren haben Robert Leicht und Thomas Assheuer in der Zeit darauf hingewiesen, dass unsere demokratischen Institutionen im Namen des globalen Standortwettbewerbs in Frage gestellt werden. Die beiden waren für ihre Analyse noch von Berlusconis Italien ausgegangen, zu dem Assheuer schreibt:

Die italienische Nation betrachtet Berlusconi als seine Firma. Deshalb ist für ihn die Italien-AG keine politische Gesellschaft, sondern eine Zugewinngemeinschaft, die sich fit macht für den Weltmarkt. Wo früher Bürger waren, sind heute Betriebsangehörige.

Von China war weder bei Leicht, noch bei Assheuer die Rede, aber ich musste beim Lesen dieser Artikel sofort daran denken, dass China im Grunde als Prototyp dieser Entwicklung stehen könnte: die Subsumierung aller nationalen Ressourcen unter das Ziel der Gewinnung von Macht und Reichtum und der Stärkung der eigenen Stellung. Werden wir uns angesichts des globalen Standortwettbewerbs noch die gefühlsduselige Ineffizienz unserer Verfassungs- und Freiheitsfolklore leisten können? In China fällt die Antwort eindeutig aus. Hier sieht man die eigene Entwicklung durchaus als ein Modell, das dem Westen überlegen ist. Bei uns sind alle gegen Atomkraft, aber wenn vor der eigenen Haustür ein Pumpspeicherwerk, ein Windpark oder eine Überlandleitung entstehen soll, dann ist es dem Bürger auch nicht recht und er demonstriert und prozessiert. Vergleicht man das mit der Schnelligkeit, Effizienz und auch Rücksichtslosigkeit, mit der solche Infrastrukturprojekte in China unter Berufung auf das übergeordnete Gemeinwohl durchgezogen werden, dann kann einem wirklich Angst und Bange werden.

Wir haben also sehr wohl allen Grund uns zu fürchten, weniger vor China, als vor dem, was wir aus unserer Angst vor China aus unserem Gemeinwesen zu machen versucht sein könnten: a brave new world? Wir müssten uns also darüber klar werden, wer wir sind, wer wir in Zukunft sein wollen und wie wir das in einer globalisierten Welt umsetzen. Das Projekt der europäischen Einigung als einer Wertegemeinschaft ist ein attraktives Modell, das wir weiter vorantreiben sollten. Leider fehlt den politisch Verantwortlichen heute dafür Weitsicht und Souveränität. Aber unsere Freiheit wird nicht in Peking verteidigt. Dafür müssen wir schon hier bei uns sorgen.

Mittwoch, 18. Mai 2011

China im "Spiegel"

Unter dem Titel "China-Boom wird Deutschland gefährlich", tut der Spiegel mal wieder das, was er mit Bezug auf China am liebsten tut: Angst vor China verbreiten und die gelbe Gefahr herauf beschwören. Darum lese ich seine China-Berichterstattung auch immer gerne, weil man nie weiß, welche dunkle Seite Chinas er als nächstes entdeckt und welche Gründe ihm noch einfallen, warum "der Chinese" hier in Kürze alle Lichter ausgehen lassen wird. Ich entsinne mich noch mit wohligen Schaudern an den Spiegel-Titel 16/2002, in dem quasi eine direkte Linie vom Ersten Kaiser der Qin-Dynastie bis hin zum kommunistischen Regime von heute gezogen wurde, nach dem Motto "zweitausend Jahre Diktatur, immer Diktatur". Es geht eben nichts über eine differenzierte und abwägende Berichterstattung.

Jetzt droht also der chinesische Wirtschaftsboom, den bundesdeutschen Wohlstand zu ersticken. So als ob Ökonomie ein einfaches Nullsummenspiel wäre, wo dem einen nur dann etwas zuwachsen kann, wenn es gleichzeitig einem anderen weggenommen wird. Globales Wachstum wäre demnach kaum möglich, sondern nur nationales auf Kosten der anderen.

In Anlehnung an den Ökonom Sebastian Dullien (Co-Autor von dem recht positiv diskutierten Buch Der gute Kapitalismus) identifiziert der Spiegel drei Gefährdungen Deutschlands durch die zunehmende chinesische Wirtschaftsmacht, die ich hier kurz kommentieren möchte:

1. China richtet seine Politik nicht an ordnungspolitischen Grundsätzen aus

In der Tat tun das die Chinesen nicht, und sie profitieren davon auch ungemein. Je mehr sich die chinesische Volkswirtschaft entwickelt, desto größer wird aber auch das chinesische Interesse an einem ordnungspolitischen Rahmen für die Weltwirtschaft werden. Man kann die Spielregeln zu seinen eigenen Gunsten ab und zu mal verletzen, solange man noch ein kleiner und wenig bedeutender Mitspieler ist. Je wichtiger China aber für die Weltwirtschaft wird, desto stärker wird der Druck werden, sich an die Regeln zu halten und diese aktiv mit zu gestalten. Auch wenn China (noch) das bevölkerungsreichste Land der Erde ist und in der Vergangenheit recht geschickt die divergierenden Interessen von Amerikanern, Japanern und Europäern zum eigenen Vorteil gegeneinander ausgespielt hat, kann es sich auf die Dauer eine allzu selbstherrliche Politik nicht leisten. Dazu ist die chinesische Volkswirtschaft viel zu sehr mit der Weltwirtschaft verflochten und die Stabilität der chinesischen Gesellschaft viel zu sehr vom ökonomischen Erfolg der eigenen Wirtschaft abhängig.

Aber es braucht natürlich noch ein wenig Zeit, bis sich China ganz in den ordnungspolitischen Rahmen einfügt und dieser wird sich auch bis zu einem gewissen Grad an China anpassen müssen. Zur Beruhigung: Was haben nicht vor allen Dingen die Briten geflucht, als ab den 1880er Jahren ein ökonomischer Aufsteiger mit rabiaten Methoden seinen Anteil an der damaligen Weltwirtschaft ausgebaut hat. Dieser Aufsteiger war das Deutsche Reich und im Grunde schon dreißig Jahre später hätte sich die Lage wieder normalisiert, wenn nicht der Erste Weltkrieg die Spannungen in die Katastrophe gesteigert hätte. Aber einen neuerlichen Weltkrieg wird der Aufstieg Chinas hoffentlich nicht auslösen (wieder so ein Thema für einen eigenen Beitrag).

2. Für Deutschland wird es schwieriger, so hohe Exportüberschüsse zu erzielen

Chinesische Exporte gegen deutsche Exporte ausspielen zu wollen und eine "direkte Konkurrenz" auf diesem Gebiet zu konstatieren, halte ich für nachgerade absurd.

Zum ersten exportieren Deutschland und China noch ganz unterschiedliche Waren und Produkte. Und trotz der chinesischen Aufhohljagd wird sich daran so schnell auch nichts ändern, zumal Deutschland aller Unkenrufe zum Trotz ja auch nicht stillsteht, sondern an seinen Technologien und Produkten weiter arbeitet. Chinesische Schuhe und Bekleidung werden BMW und Mercedes jedenfalls nicht so schnell das Wasser abgraben. Natürlich werden in China heute auch schon anspruchsvolle Produkte entwickelt und hergestellt. Aber das kann ja durchaus auch einen belebenden Effekt auf unsere Wirtschaft haben. Wäre die jüngste Initiative der Bundesregierung, Deutschland zu einem Leitmarkt für Elektromobilität zu entwickeln, denkbar gewesen, ohne die gleichzeitigen Anstrengungen Chinas auf diesem Gebiet? Und dank des technologisch hohen Ausgangsniveaus der deutschen Industrie und Wissenschaft sollten die Chancen doch nicht schlecht stehen, etwaige Vorsprünge der Chinesen aufzuarbeiten oder mit Vorteilen in anderen Bereichen zu kompensieren. Man muss es eben positiv sehen: "Konkurrenz belebt das Geschäft", nicht "Konkurrenz zerstört das Geschäft".

Zum zweiten hängt unser Exporterfolg nach China natürlich davon ab, dass es der chinesischen Wirtschaft gut geht, damit überhaupt erst Geld vorhanden ist, unsere Produkte kaufen zu können. In so fern ist der chinesische Erfolg erst die Grundlage unseres eigenen Erfolges. Ich möchte den westlichen Ökonomen sehen, der keine Alpträume bekäme bei dem Gedanken, die chinesische (Export-)Wirtschaft könnte anfangen zu schwächeln. Sollen die Chinesen doch kräftig exportieren, damit sie jede Menge deutsche Maschinen kaufen, mit denen sie ihre Exportgüter herstellen und jede Menge deutsche Luxuskarossen, mit denen sie ihren Erfolg nach Außen darstellen.

Zum dritten sind die chinesischen Exporte natürlich auch differenziert zu betrachten. Wie groß ist eigentlich der Anteil daran, der wirklich und ausschließlich chinesisch ist? China ist die "Werkbank der Welt", wie es immer so schön heißt. Und das bedeutet, dass viele Exporte, die als "chinesisch" gewertet werden, Produkte sind, die für internationale Unternehmen in China hergestellt werden, unter Umständen mit Komponenten, die erst nach China eingeführt werden mussten. Die Frage ist also auch die: Wem nützt die VW-Produktion in Schanghai mehr, den Chinesen, den Schanghaiern, den Deutschen oder VW? Eine schwierige Frage, gewiss, aber zu unserem Schaden ist das ganze nun sicher nicht.

Und wir sollten zu guter Letzt auch im Hinterkopf behalten, in welchen Bereichen wir von den chinesischen Exporten sonst noch profitieren. China exportiert ja nicht nur für das eigene Wachstum, sondern auch für unseren Konsum. Wie dreckig wären unsere Flüsse und wie belastet unsere Luft, wenn wir alle Güter unseres täglichen Bedarfs noch bei uns selbst herstellen würden? Wie sähe unsere CO2-Bilanz aus? Und vor allem, wie teuer wären diese Produkte dann in unseren Geschäften?

Ob es für die deutsche Wirtschaft auf längere Sicht sehr klug ist, an der starken Exportorientierung festzuhalten, ist dagegen eine allgemeinere Frage, die sich auch unabhängig von China stellt. Meiner Überzeugung nach wären wir schon gut beraten, hier auf eine größere Ausgewogenheit zu achten. Aber das kann man so oder so sehen.

3. Der Wettbewerb um Rohstoffe verschärft sich

Da hat der Artikel durchaus recht. Aber was soll's? Die Rohstoffe werden für alle knapp und werden für alle teurer. Das bedroht die chinesische Volkswirtschaft genauso gut wie die deutsche. Und die deutsche Wirtschaft sollte noch mit am besten in der Lage sein, mit dieser Herausforderung fertig zu werden. Regenerative Energien, Recycling, Urban Mining, Effizienz in der Verwendung von Energie und Rohstoffen, da haben wir schon einiges getan und können noch sehr viel mehr erreichen. Besorgniserregender sind da schon die Folgen der chinesischen Rohstoffpolitik für die Menschen in Afrika, die häufig unter einer chinesischen "Entwicklungspolitik" leiden, die ethische Grundsätze komplett außen vor lässt und ausbeuterische Diktaturen unterstützt, um günstig an die begehrten Rohstoffe zu kommen. Aber da haben wir im Westen ja durchaus auch unsere eigene dunkle Geschichte, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Da waren's nur noch neun ...

Als am 11. September 2001 die beiden American Airlines Flugzeuge von ihren Entführern in die WTC-Türme gelenkt wurden und knapp dreitausend Menschen in dem Inferno ums Leben kamen, waren leider auch in China eine ganze Reihe von Stimmen zu hören, die sich mit Schadenfreude und Genugtuung über die Anschläge äußerten: Endlich hatte es mal jemand den anmaßenden Amerikanern gezeigt; endlich war dem selbst ernannten "Weltpolizisten" seine eigene Verwundbarkeit und Schwäche vorgeführt worden. Mit einigem Unbehagen stellte ich damals fest, dass nicht nur die "üblichen Verdächtigen" aus dem Lager der Ultra-Nationalisten den Terrorakt gut hießen, sondern auch ansonsten durchaus kritisch eingestellte Chinesen eine ähnliche Meinung vertraten. Ein latenter Anti-Amerikanismus ist (auch) in China eben weit verbreitet.

Jetzt, nach der Tötung Bin Ladens durch eine amerikanische Spezialeinheit, war ich gespannt, wie die Reaktion hierzu in den chinesischen Internet-Foren ausfallen würde. Mein erster Eindruck: der Ton ist ein ganz anderer, zurückhaltender und nachdenklicher geworden. Was können die Gründe hierfür sein?

Es gibt sie natürlich auch heute noch, die "ärgerlichen Jugendlichen" (fenqing), die in Bin Laden einen Helden des anti-amerikanischen Widerstandskampfes sehen und seine Tötung bedauern und verurteilen. Und es gibt natürlich ebenso noch die alten und neuen Maoisten, die Bin Laden und Al-Qaida zwar als Terroristen kritisieren und seinen Tod gut heißen, die aber im "amerikanischen Imperialismus" den weitaus größeren Terroristen zu erblicken meinen.

Die meisten Kommentare waren aber anderer Natur. Auf einer Diskussionsseite des normalerweise sehr knackigen Qiangguo luntan (Forum zur Stärkung des Landes) der Parteizeitung Renmin ribao überwiegen zwar die kritischen Stimmen zur Tötung Bin Ladens, dabei wird aber eher auf die Wirksamkeit und die längerfristigen Folgen dieser Kill-Mission abgestellt, als den USA die generelle Berechtigung zu so einem Schritt abgesprochen. Das hängt natürlich auch mit der offiziellen Haltung der chinesischen Regierung zusammen, welche die Tötung Bin Ladens begrüßt hat, weil sie sich in Xinjiang selbst als ein Opfer des internationalen islamistischen Terrorismus sieht (mit welcher Berechtigung sei hier einmal dahin gestellt).

Mir fällt auf, dass das Interesse an dem Ereignis eigentümlich gering ist und die meisten Menschen in China eher kalt zu lassen scheint. Nach meinen Erfahrungen vom September 2001 hätte ich erwartet, dass die Empörung über das eigenmächtige Vorgehen der amerikanischen Regierung deutlicher ausfallen würde. Zumal Pakistan als alter chinesischer Verbündeter durch diese Aktion ohne Einverständnis und Information der pakistanischen Regierung düpiert worden ist. Vielleicht hat ja die Welle nationalistischer Erregbarkeit in China ihren Zenith überschritten? Das würde mich freuen. Vielleicht war aber auch nur der Anlass nicht der richtige und Bin Laden einfach doch der falsche Verbündete - selbst aus Sicht chinesischer Nationalisten. Vielleicht beanspruchen aber auch die Alltagsprobleme angesichts der stark steigenden Inflation die gesamte Aufmerksamkeit und Kraft der meisten Chinesen, so dass ihnen das Schicksal eines bin Laden einfach fern liegt.

Für diese letztere Interpretation spricht vielleicht, dass einige Kommentare im chinesischen Internet selbst dieses Thema noch mit der Situation im eigenen Land und einer Kritik an der chinesischen Regierung verknüpfen. So meinte ein Nutzer lakonisch, dass von den zehn größten Terroristen weltweit jetzt nur noch neun übrig seien. Neun ist die Zahl der Mitglieder im aktuellen ständigen Ausschuss des Politbüro der KPCh. Und da muss man auch keinem Chinesen extra erzählen, wer wohl mit diesen anderen neun "Terroristen" gemeint sein könnte. Ein anderer kommentierte die Nachricht von Bin Ladens Tod mit einem Witz über Al-Qaida: "Einmal schickte Al-Qaida einige Terroristen nach China, um dort Bombenanschläge zu verüben. Einer der Attentäter wollte einen Bus in die Luft sprengen, konnte sich aber nicht in den überfüllten Bus hineinquetschen. Einer hatte sich einen Supermarkt als Ziel ausgesucht, aber ihm wurde die Bombe aus dem Einkaufskorb gestohlen. Einer wollte einen Zug in die Luft jagen, aber alle Tickets waren ausverkauft. Schließlich gelang es einem, ein Kohlebergwerk zu sprengen, mehrere hundert Kumpel kamen ums Leben. Der Attentäter kehrte ins Al-Qaida-Huptquartier zurück, um auf die Bestätigung in den Fernsehnachrichten zu warten, aber über den Vorfall wurde nicht berichtet. Daraufhin wurde der Mann als Lügner von Al-Qaida liquidiert".

Wenn selbst die Tötung Bin Ladens durch die USA für eine Kritik an der eigenen Führung benutzt wird, dann sollten sich Hu, Wen und Genossen wirklich Gedanken machen. China taucht sehr tief in den Wogen von Globalisierung, Modernisierung und rapider wirtschaftlicher Entwicklung. Sollte die Schutzhülle des Patriotismus so langsam dem Außendruck bürgerlicher Unzufriedenheit und sozialer Unruhe nachzugeben und zu lecken beginnen? (Sorry, aber diese Abwandlung der Staatsschiff-Metapher in Anlehnung an den Film "Das Boot" war einfach zu verlockend. Schon die alten Chinesen haben ja gewusst, dass das Volk, wie das Wasser ist, auf dem das Schiff des Staates schwimmt, das es aber auch kentern lassen kann. Der "große Steuermann" - auch hier bleiben wir im Bild - hat dann gesagt, der Rotarmist solle sich im Volk bewegen, wie der Fisch im Wasser schwimmt. Wenn ich davon ausgehe, dass mit der Staatsgründung der VR sich der Fisch zum Staatsschiff gemausert hat, dann sind wir endlich beim U-Boot angekommen. Der "große Steuermann" war also eigentlich ein "Herr Kaleun" - Jürgen Prochnow, übernehmen Sie!)

Eine Zusammenstellung von ein paar Forumseinträgen in englischer Übersetzung finden sich hier.