Dienstag, 24. Mai 2011

Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter!

So ist ein Bild betitelt, welches auf einen Entwurf von Kaiser Wilhelm II. zurückgeht und vor der "gelben Gefahr" Chinas warnen sollte (die Abbildung im zugehörigen Wikipedia-Artikel). Manchmal hat man den Eindruck, dass unser Bild von China und vor allem unsere Berichterstattung über China immer noch nicht viel anders (besser!) ist als damals. Gerade im letzten Blogeintrag habe ich mich selbst mal wieder über die China-Berichterstattung des Spiegel geärgert. Das geht aber nicht nur mir so, sondern anderen auch. Vor ein paar Tagen hat der deutsche, in China lebenden Schriftsteller, Christian Y. Schmidt in einem Interview mit dem Spiegel (!) harsche Kritik an der China-Berichterstattung gerade in den deutschen Medien geübt. Gleichzeitig veröffentlichte der Doppelpod einen transkribierten Vortrag des nämlichen Christian Y. Schmidt zum Thema "Wie frei ist die deutsche Presse wirklich?".

Trotz meiner Unzufriedenheit mit vielen negativen und einseitigen Berichten über China in den deutschen Medien, teile ich die weitgehende Kritik Schmidts nicht. Pressefreiheit ist ein institutionelles Gut, das bei uns - abgesehen von einigen wenigen rechtlich klar definierten Einschränkungen, bspw. der Holocaust-Leugnung - gewährleistet und geschützt ist. In so fern ist die deutsche Presse frei. Wie sie diese Freiheit nutzt, und ob sie diese Freiheit in bestimmten Fällen ausreichend nutzt, ist eine andere Frage. Die Verflechtungen von Politik, Medien und Unternehmen, die Schmidt in seinem Vortrag anspricht, schränken die Pressefreiheit in Deutschland nicht ein. Da schießt er, nach meinem Empfinden, über das Ziel hinaus. Natürlich braucht die Bundesregierung für den Posten des Pressesprechers einen erfahrenen Medienprofi und wählt daher in der Regel Journalisten für diese Aufgabe. Sie tut dies aber nicht, um die Medien in einem Sinne zu beeinflussen, der die Unvoreingenommenheit der Presse in Frage stellte. Da schiebt Schmidt einem normalen Vorgang ein unlauteres Motiv unter. Ob Steffen Seibert oder einer seiner Vorgänger: ich denke, diese haben sich alle als Journalisten genau so bemüht, eine kritische Berichterstattung zu liefern, wie sie als Regierungssprecher versucht haben, den Standpunkt der Bundesregierung gut zu kommunizieren. Das sollte zum Berufsethos dieser Leute gehören. Dass es dennoch auch Probleme gibt, ist klar - nichts ist leider perfekt. So zeigt der Fall Brender den fatalen Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr deutlich. Die heftigen kritischen Reaktionen in allen Medien und sogar aus Teilen der Berliner Regierungskoalition zeigen aber doch auch, dass die Kontrollfunktion der Presse durchaus funktioniert. Ich denke, längerfristig hat Koch dem Einfluss der Politik mit seinem Vorgehen einen Bärendienst erwiesen, denn dieser Vorgang wird bei einer Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages sicher noch eine Rolle spielen.

Wenn die deutschen Medien einseitig berichten, und sie tun dies häufig und nicht nur über China, dann sind die Gründe meines Erachtens viel banaler, als eine beschnittene Pressefreiheit: es gibt in vielen Themenbereichen einen Meinungsmainstream, dem sich in einem Herdentrieb viele Menschen anschließen, ohne sich die Mühe zu machen und die Zeit zu nehmen, selbst zu prüfen und selbst zu überlegen. Wir leben in einer schnelllebigen und komplexen Zeit, da lassen wir uns eben die paar festen Gewissheiten, die wir noch zu haben glauben, nur ungerne nehmen. Die ewigen Wahrheiten des Neoliberalismus gehörten bis vor kurzem beispielsweise noch dazu. Ich kann mich noch gut an ein Interview erinnern, das der Deutschlandfunk (ja wohl das Flaggschiff eines kritischen und unabhängigen Journalismus) mit Heiner Geißler anlässlich des Erscheinens seines Buches Was würde Jesus heute sagen? geführt hat: Das Unverständnis der Interviewers für die kritischen Thesen Geißlers zum modernen Finanzkapitalismus war geradezu körperlich zu spüren. Das lag komplett außerhalb seines Vorstellungshorizontes. Und es brauchte erst des Finanzcrashes von 2008, um die Vorherrschaft dieses Mainstreams aufzubrechen (der sich bei diesem Thema jetzt in entgegengesetzter Richtung neu etabliert hat).

Aber zurück zu China: Warum ist die Berichterstattung zu China häufig so voreingenommen und negativ? Weil wir den Chinesen ihren wirtschaftlichen und politischen Aufstieg missgönnen, wie man in China oft vermutet? Weil wir alte Vorurteile pflegen und zu bequem sind, uns über China richtig zu informieren? Ich denke, der Grund ist ganz einfach: Wir haben Angst vor China. Nicht davor, dass unsere Arbeitsplätze dorthin abwandern, oder unsere relative ökonomische Macht bröckelt, oder unsere Devisen nach Peking abfließen, oder China sein Militärbudget massiv aufstockt. Am Grunde unserer Angst liegt die Befürchtung, dass China uns die Systemfrage erfolgreich stellen könnte. Und damit wären wir auch wieder bei unseren "heiligsten Gütern" und damit auch wieder bei der Pressefreiheit.

Als es noch die Sowjetunion und den Ostblock gab, waren wir massiv militärisch bedroht. Aber wir konnten uns ziemlich sicher sein, über das attraktivere politische System zu verfügen. Schließlich brauchte die DDR die Mauer ja nicht, um Scharen von politischen Flüchtlingen aus dem Westen abzuwehren. Der Sowjetkommunismus war zu unattraktiv, um eine wirkliche Konkurrenz zu sein. Aber der Sozialismus chinesischer Prägung mit seinen atemberaubenden wirtschaftlichen und politischen Erfolgen ist da eine ganz andere Herausforderungen. Weniger Demokratie, weniger Parlamentarismus und eine gelenkte öffentliche Meinung als Erfolgsrezept im globalen Wirtschaftswettbewerb. Schon vor zehn Jahren haben Robert Leicht und Thomas Assheuer in der Zeit darauf hingewiesen, dass unsere demokratischen Institutionen im Namen des globalen Standortwettbewerbs in Frage gestellt werden. Die beiden waren für ihre Analyse noch von Berlusconis Italien ausgegangen, zu dem Assheuer schreibt:

Die italienische Nation betrachtet Berlusconi als seine Firma. Deshalb ist für ihn die Italien-AG keine politische Gesellschaft, sondern eine Zugewinngemeinschaft, die sich fit macht für den Weltmarkt. Wo früher Bürger waren, sind heute Betriebsangehörige.

Von China war weder bei Leicht, noch bei Assheuer die Rede, aber ich musste beim Lesen dieser Artikel sofort daran denken, dass China im Grunde als Prototyp dieser Entwicklung stehen könnte: die Subsumierung aller nationalen Ressourcen unter das Ziel der Gewinnung von Macht und Reichtum und der Stärkung der eigenen Stellung. Werden wir uns angesichts des globalen Standortwettbewerbs noch die gefühlsduselige Ineffizienz unserer Verfassungs- und Freiheitsfolklore leisten können? In China fällt die Antwort eindeutig aus. Hier sieht man die eigene Entwicklung durchaus als ein Modell, das dem Westen überlegen ist. Bei uns sind alle gegen Atomkraft, aber wenn vor der eigenen Haustür ein Pumpspeicherwerk, ein Windpark oder eine Überlandleitung entstehen soll, dann ist es dem Bürger auch nicht recht und er demonstriert und prozessiert. Vergleicht man das mit der Schnelligkeit, Effizienz und auch Rücksichtslosigkeit, mit der solche Infrastrukturprojekte in China unter Berufung auf das übergeordnete Gemeinwohl durchgezogen werden, dann kann einem wirklich Angst und Bange werden.

Wir haben also sehr wohl allen Grund uns zu fürchten, weniger vor China, als vor dem, was wir aus unserer Angst vor China aus unserem Gemeinwesen zu machen versucht sein könnten: a brave new world? Wir müssten uns also darüber klar werden, wer wir sind, wer wir in Zukunft sein wollen und wie wir das in einer globalisierten Welt umsetzen. Das Projekt der europäischen Einigung als einer Wertegemeinschaft ist ein attraktives Modell, das wir weiter vorantreiben sollten. Leider fehlt den politisch Verantwortlichen heute dafür Weitsicht und Souveränität. Aber unsere Freiheit wird nicht in Peking verteidigt. Dafür müssen wir schon hier bei uns sorgen.

1 Kommentar:

  1. Die Idee der Zugewinngemeinschaft ist nicht ganz neu - der deutsche Sozialstaat ist aus ganz ähnlichen Überlegungen entstanden, und die deutsche Zivilgesellschaft ist noch wesentlich "neuer".

    Ich stimme Ihnen zu: die Diskussion, wie Deutschland aussehen soll, muss hier geführt werden. Irgendein Land würde zwangsläufig unser "Modell" herausfordern, früher oder später. Jetzt ist es eben China - und es ist eine solch starke Projektionsfläche, weil sowohl "Entscheider", denen demokratische Prozesse zu mühsam sind, als auch Demokraten sich naheliegenderweise auf dieses real existierende Modell beziehen, wenn sie ihre - heimischen - Konflikte austragen.

    Diejenigen, die den Advokaten des Autoritarimus oder Totalitarismus - zu Recht - misstrauen, müssen allerdings anerkennen, dass am ökonomischen Wettbewerb mit China kein Weg vorbeiführt. Dass man die Einhaltung bestimmter Wettbewerbsregeln dabei einfordern muss, sollte sich von selbst verstehen.

    Ausreden für die eigene Bequemlichkeit allerdings "ziehen" nicht.

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