Mittwoch, 18. Mai 2011

China im "Spiegel"

Unter dem Titel "China-Boom wird Deutschland gefährlich", tut der Spiegel mal wieder das, was er mit Bezug auf China am liebsten tut: Angst vor China verbreiten und die gelbe Gefahr herauf beschwören. Darum lese ich seine China-Berichterstattung auch immer gerne, weil man nie weiß, welche dunkle Seite Chinas er als nächstes entdeckt und welche Gründe ihm noch einfallen, warum "der Chinese" hier in Kürze alle Lichter ausgehen lassen wird. Ich entsinne mich noch mit wohligen Schaudern an den Spiegel-Titel 16/2002, in dem quasi eine direkte Linie vom Ersten Kaiser der Qin-Dynastie bis hin zum kommunistischen Regime von heute gezogen wurde, nach dem Motto "zweitausend Jahre Diktatur, immer Diktatur". Es geht eben nichts über eine differenzierte und abwägende Berichterstattung.

Jetzt droht also der chinesische Wirtschaftsboom, den bundesdeutschen Wohlstand zu ersticken. So als ob Ökonomie ein einfaches Nullsummenspiel wäre, wo dem einen nur dann etwas zuwachsen kann, wenn es gleichzeitig einem anderen weggenommen wird. Globales Wachstum wäre demnach kaum möglich, sondern nur nationales auf Kosten der anderen.

In Anlehnung an den Ökonom Sebastian Dullien (Co-Autor von dem recht positiv diskutierten Buch Der gute Kapitalismus) identifiziert der Spiegel drei Gefährdungen Deutschlands durch die zunehmende chinesische Wirtschaftsmacht, die ich hier kurz kommentieren möchte:

1. China richtet seine Politik nicht an ordnungspolitischen Grundsätzen aus

In der Tat tun das die Chinesen nicht, und sie profitieren davon auch ungemein. Je mehr sich die chinesische Volkswirtschaft entwickelt, desto größer wird aber auch das chinesische Interesse an einem ordnungspolitischen Rahmen für die Weltwirtschaft werden. Man kann die Spielregeln zu seinen eigenen Gunsten ab und zu mal verletzen, solange man noch ein kleiner und wenig bedeutender Mitspieler ist. Je wichtiger China aber für die Weltwirtschaft wird, desto stärker wird der Druck werden, sich an die Regeln zu halten und diese aktiv mit zu gestalten. Auch wenn China (noch) das bevölkerungsreichste Land der Erde ist und in der Vergangenheit recht geschickt die divergierenden Interessen von Amerikanern, Japanern und Europäern zum eigenen Vorteil gegeneinander ausgespielt hat, kann es sich auf die Dauer eine allzu selbstherrliche Politik nicht leisten. Dazu ist die chinesische Volkswirtschaft viel zu sehr mit der Weltwirtschaft verflochten und die Stabilität der chinesischen Gesellschaft viel zu sehr vom ökonomischen Erfolg der eigenen Wirtschaft abhängig.

Aber es braucht natürlich noch ein wenig Zeit, bis sich China ganz in den ordnungspolitischen Rahmen einfügt und dieser wird sich auch bis zu einem gewissen Grad an China anpassen müssen. Zur Beruhigung: Was haben nicht vor allen Dingen die Briten geflucht, als ab den 1880er Jahren ein ökonomischer Aufsteiger mit rabiaten Methoden seinen Anteil an der damaligen Weltwirtschaft ausgebaut hat. Dieser Aufsteiger war das Deutsche Reich und im Grunde schon dreißig Jahre später hätte sich die Lage wieder normalisiert, wenn nicht der Erste Weltkrieg die Spannungen in die Katastrophe gesteigert hätte. Aber einen neuerlichen Weltkrieg wird der Aufstieg Chinas hoffentlich nicht auslösen (wieder so ein Thema für einen eigenen Beitrag).

2. Für Deutschland wird es schwieriger, so hohe Exportüberschüsse zu erzielen

Chinesische Exporte gegen deutsche Exporte ausspielen zu wollen und eine "direkte Konkurrenz" auf diesem Gebiet zu konstatieren, halte ich für nachgerade absurd.

Zum ersten exportieren Deutschland und China noch ganz unterschiedliche Waren und Produkte. Und trotz der chinesischen Aufhohljagd wird sich daran so schnell auch nichts ändern, zumal Deutschland aller Unkenrufe zum Trotz ja auch nicht stillsteht, sondern an seinen Technologien und Produkten weiter arbeitet. Chinesische Schuhe und Bekleidung werden BMW und Mercedes jedenfalls nicht so schnell das Wasser abgraben. Natürlich werden in China heute auch schon anspruchsvolle Produkte entwickelt und hergestellt. Aber das kann ja durchaus auch einen belebenden Effekt auf unsere Wirtschaft haben. Wäre die jüngste Initiative der Bundesregierung, Deutschland zu einem Leitmarkt für Elektromobilität zu entwickeln, denkbar gewesen, ohne die gleichzeitigen Anstrengungen Chinas auf diesem Gebiet? Und dank des technologisch hohen Ausgangsniveaus der deutschen Industrie und Wissenschaft sollten die Chancen doch nicht schlecht stehen, etwaige Vorsprünge der Chinesen aufzuarbeiten oder mit Vorteilen in anderen Bereichen zu kompensieren. Man muss es eben positiv sehen: "Konkurrenz belebt das Geschäft", nicht "Konkurrenz zerstört das Geschäft".

Zum zweiten hängt unser Exporterfolg nach China natürlich davon ab, dass es der chinesischen Wirtschaft gut geht, damit überhaupt erst Geld vorhanden ist, unsere Produkte kaufen zu können. In so fern ist der chinesische Erfolg erst die Grundlage unseres eigenen Erfolges. Ich möchte den westlichen Ökonomen sehen, der keine Alpträume bekäme bei dem Gedanken, die chinesische (Export-)Wirtschaft könnte anfangen zu schwächeln. Sollen die Chinesen doch kräftig exportieren, damit sie jede Menge deutsche Maschinen kaufen, mit denen sie ihre Exportgüter herstellen und jede Menge deutsche Luxuskarossen, mit denen sie ihren Erfolg nach Außen darstellen.

Zum dritten sind die chinesischen Exporte natürlich auch differenziert zu betrachten. Wie groß ist eigentlich der Anteil daran, der wirklich und ausschließlich chinesisch ist? China ist die "Werkbank der Welt", wie es immer so schön heißt. Und das bedeutet, dass viele Exporte, die als "chinesisch" gewertet werden, Produkte sind, die für internationale Unternehmen in China hergestellt werden, unter Umständen mit Komponenten, die erst nach China eingeführt werden mussten. Die Frage ist also auch die: Wem nützt die VW-Produktion in Schanghai mehr, den Chinesen, den Schanghaiern, den Deutschen oder VW? Eine schwierige Frage, gewiss, aber zu unserem Schaden ist das ganze nun sicher nicht.

Und wir sollten zu guter Letzt auch im Hinterkopf behalten, in welchen Bereichen wir von den chinesischen Exporten sonst noch profitieren. China exportiert ja nicht nur für das eigene Wachstum, sondern auch für unseren Konsum. Wie dreckig wären unsere Flüsse und wie belastet unsere Luft, wenn wir alle Güter unseres täglichen Bedarfs noch bei uns selbst herstellen würden? Wie sähe unsere CO2-Bilanz aus? Und vor allem, wie teuer wären diese Produkte dann in unseren Geschäften?

Ob es für die deutsche Wirtschaft auf längere Sicht sehr klug ist, an der starken Exportorientierung festzuhalten, ist dagegen eine allgemeinere Frage, die sich auch unabhängig von China stellt. Meiner Überzeugung nach wären wir schon gut beraten, hier auf eine größere Ausgewogenheit zu achten. Aber das kann man so oder so sehen.

3. Der Wettbewerb um Rohstoffe verschärft sich

Da hat der Artikel durchaus recht. Aber was soll's? Die Rohstoffe werden für alle knapp und werden für alle teurer. Das bedroht die chinesische Volkswirtschaft genauso gut wie die deutsche. Und die deutsche Wirtschaft sollte noch mit am besten in der Lage sein, mit dieser Herausforderung fertig zu werden. Regenerative Energien, Recycling, Urban Mining, Effizienz in der Verwendung von Energie und Rohstoffen, da haben wir schon einiges getan und können noch sehr viel mehr erreichen. Besorgniserregender sind da schon die Folgen der chinesischen Rohstoffpolitik für die Menschen in Afrika, die häufig unter einer chinesischen "Entwicklungspolitik" leiden, die ethische Grundsätze komplett außen vor lässt und ausbeuterische Diktaturen unterstützt, um günstig an die begehrten Rohstoffe zu kommen. Aber da haben wir im Westen ja durchaus auch unsere eigene dunkle Geschichte, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

2 Kommentare:

  1. Sinologen und den Spiegel scheint ja eine wirkliche Hassliebe zu verbinden, der Herr Kramer hat in Leipzig auch schon die ein oder andere Andeutung gemacht^^

    Schön die Vorwürfe vereinfacht.
    Wieso ich bei dem Wort Vorwürfe bleibe? Weil es in letzter Zeit international üblich geworden ist, anderen Staaten etwas vorzuwerfen, gerade im Bereich der Wirtschaft. Protektionismus? Wir doch nicht! (Und so weiter...)

    Freu mich auf den nächsten Artikel :)

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  2. Ja, der Spiegel und Sinologen ist so ein Thema für sich. Die China-Berichterstattung des Spiegel ist seit 1989 aber auch ganz schön grottig. Vielleicht hat der Spiegel es China übel genommen, dass man die wohlwollendere Berichterstattung der 1980er Jahre mit dem Massaker so bloß gestellt hat.

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