Freitag, 27. Mai 2011

Deutsche Welle

Erinnern Sie sich noch an den "Skandal" um eine allzu chinafreundliche Berichterstattung im chinesischsprachigen Programm der Deutschen Welle? Im Jahr der Olympischen Spiele in Peking 2008 hatte die stellvertretende Leiterin der China-Sparte der Deutschen Welle, Zhang Danhong, mit ihrer Kritik an der negativen deutschen China-Berichterstattung für Aufsehen gesorgt. Schnell wurde der Vorwurf laut, das chinesische Programm der Deutschen Welle berichte tendentiös wohlwollend und anbiedernd über die Diktatur in China. Zeitweise wurde Zhang Danhong von der Gestaltung von Programminhalten entbunden und die China-Berichterstattung des Senders wurde einer Prüfung unterzogen. Auch in China sorgte der Fall für Empörung, der Vorwurf einer Kampagne gegen China wurde erhoben und selbst die Nazi-Keule wurde ausgepackt: So lange die Deutschen wie zu Zeiten des Dritten Reiches die freie Meinungsäußerung unterdrückten, sollten sie doch zur Zensur in China lieber den Mund halten. Der Großteil der Debatte ist hier ganz gut zusammengefasst und wiedergegeben.

Nun sind drei chinesische Redakteure der Deutschen Welle, die sich damals auf die Seite von Zhang Danhong gestellt hatten, entlassen worden, bzw. ihre Verträge wurden nicht weiter verlängert. In einem offenen Brief wenden sich die drei an ihren bisherigen Arbeitgeber und beschuldigen ihn, sie wegen der damaligen Affäre abzustrafen. In dem offenen Brief verteidigen sie auch noch einmal ihre Kollegin Zhang Danhong und werfen der Deutschen Welle vor, mit allen Mitteln eine chinakritische Berichterstattung durchzudrücken.

Hat sich Zhang Danhong nun eine tendentiöse Berichterstattung zu Schulden kommen lassen? Oder versucht der Sender vielmehr, eine bestimmte Linie im Programm auf Biegen und Brechen durchzusetzen? Die Vorwürfe und Gegenvorwürfe sind nur schwer zu entwirren und eine qualifizierte Bewertung scheint kaum möglich zu sein. Trotzdem möchte ich versuchen, verschiedene Punkte abzuwägen und die Vorgänge zu interpretieren.

Die Deutsche Welle hatte den renommierten Journalisten Ulrich Wickert (sein Vater war erster deutscher Botschafter in Peking nach Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen 1976) mit der Begutachtung des chinesischsprachigen Programms der Deutschen Welle beauftragt. Wickert hielt die Vorwürfe an Zhang Danhong für haltlos und unbegründet, das Gutachten wurde von der Deutschen Welle aber nicht im Wortlaut veröffentlicht, sondern unter Verschluss gehalten. Das ist schon ein bisschen seltsam und legt den Schluss nahe, dass die Deutsche Welle entgegen besseren Wissens ihrer Journalistin einen Maulkorb verpasst hat, um einem china-kritischen Mainstream Genüge zu tun. Auffällig ist auch, dass ich die Meldung über den zurückgehaltenen Wickert-Bericht auf den Seiten der FAZ nicht finden konnte, die das Hauptmedium der Kritik an Zhang Danhong gewesen war. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt?

Aber auch auf Seiten Zhang Danhongs und ihrer drei Unterstützer gibt es einige Ungereimtheiten. So heißt es in dem offenen Brief lapidar, die China-Redaktion der Deutschen Welle sei ausgetauscht worden, nachdem Zhang Danhong in einem Interview auf der Homepage des Senders versucht hatte, die schweren Vorwürfe "einer in den USA lebenden chinesischen Dissidentin" zu widerlegen. Warum wird der Name dieser Dissidentin verschwiegen? Vielleicht weil diese "in den USA lebende chinesische Dissidentin" die renommierte Ökonomin He Qinglian ist, deren einflussreiches Buch China in der Modernisierungsfalle in deutscher Übersetzung bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen ist? He Qinglian hatte bis 2005 regelmäßig für die Deutsche Welle Kommentare zu China-Themen geschrieben und wurde dann von Zhang Danhong gebeten, diese Tätigkeit einzustellen. In einem Interview mit der FAZ erhob He Qinglian den Vorwurf, die Beendigung ihrer Tätigkeit als Kommentatorin sei auf politischen Druck auf die Deutsche Welle aus Peking zurückzuführen. Mir erscheint diese Anschuldigung zwar verständlich, aber kaum begründet zu sein. In der Tat schreibt ein Mitarbeiter der Deutschen Welle in seinem Blog, es habe damals wirklich einen Beschluss des Senders gegeben, nur noch fest angestellt Mitarbeiter der Deutschen Welle als Kommentatoren einzusetzen, weil Kommentare in besonderer Weise den Standpunkt des Senders repräsentieren. Das ist auch ein nachvollziehbarer Grund. In dem oben erwähnten Interview von Zhang Danhong (auf den Seiten der Deutschen Welle ist das Interview leider nicht mehr zu finden) bezieht sie sich ebenfalls auf diese Anweisung des Senders.

In dem offenen Brief der drei ehemaligen Mitarbeiter der Deutschen Welle wird allerdings verschwiegen, dass Zhang Danhong dieses Interview offenbar mit sich selbst geführt hat. Das heißt, sie hat selbst die Fragen formuliert, sich von einer Mitarbeiterin stellen lassen und das ganze dann online veröffentlicht, ohne auf diese besonderen Entstehungsumstände hinzuweisen. So berichtet es jedenfalls die FAZ. Erst diese Vorgehensweise habe zu den empörten Reaktionen des Senders geführt, weil Zhang Danhong ihn als ein Instrument privater Rache missbraucht habe.
Entgegen dem Gutachten von Ulrich Wickert wollte der Deutschlandfunk in einer stichprobenartigen Untersuchung der Online-Inhalte des chinesischsprachigen Programms der Deutschen Welle dann tatsächlich schwerwiegende Verstöße gegen die Objektivität der Berichterstattung festgestellt haben. So seien aus "tibetischen Protesten" auf den deutschen Seiten "gewalttätige Krawalle" auf den chinesischen geworden, aus "Demonstranten" "tibetische Separatisten". Der Bericht des Deutschlandfunks nennt außer einigen wenigen Beispielen leider keine Quellen und ist damit nicht nachprüfbar. Ich habe die chinesischsprachigen Seiten der Deutsche Welle mal selbst durchforstet und keine unseriöse oder tendentiöse Berichterstattung finden können, KPCh-typischen Propagandasprech wie die oben zitierten "tibetischen Separatisten" schon gar nicht. Vielleicht sind die Seiten ja auch mittlerweile gesäubert, aber da das Internet ja bekanntlich nichts so schnell vergisst, hätte man doch sicher irgendetwas finden sollen.

Mein Fazit: Zhang Danhong hat die einseitig negative China-Berichterstattung deutscher Medien öffentlich kritisiert und versucht, mit dem Hinweis auf einige positive Aspekte etwas gegenzusteuern. Da haben vielleicht auch ein paar patriotische Gefühle auf ihrer Seite eine Rolle gespielt, wie bei vielen anderen Chinesen auch, die trotz einer regimekritischen Grundeinstellung empfindlich reagieren, wenn auf ihrem Heimatland (von Ausländern) herumgehackt wird. Ein überempfindlicher Medienmainstream, der keine Differenzierungen und Schattierungen liebt, hat dann in typischer Weise überreagiert und Zhang Danhong als fünfte Kolonne Pekings abzustempeln versucht. Denn wenn China ein autoritärer Staat ist, der die Menschenrechte missachtet, dann kann, dann darf er nichts Gutes haben, über das man berichten könnte. Auch diesen Standpunkt muss man verstehen, denn wir haben wahrlich viel zu oft gehört, dass Hitler doch immerhin die Autobahnen gebaut habe. Die missverständliche Geschichte mit den Kommentaren von He Qinglian kam dann etwas unglücklich hinzu. Und in dieser aufgeladenen und vergifteten Atmosphäre haben sich dann beide Seiten zu unschönen Fouls hinreißen lassen: der Sender zur Zurückhaltung des Wickert-Gutachtens, das Zhang Danhong rehabilitiert hätte; Zhang Danhong zur Inszenierung des Interviews mit sich selbst, um die private Rechnung mit He Qinglian zu begleichen. Alles in allem ist der gesamte Vorgang schade, traurig, unnötig und von Kleinlichkeiten gekennzeichnet.

3 Kommentare:

  1. Die Tabuisierung des öffentlichen Dialogs

    oder

    Herzlich Willkommen in einer komplexen Welt!

    Vielen Dank fuer die gute Zusammenfassung. Ich sehe die Ereignisse aehnlich. Die Zhang-Danhong-Geschichte ist in vieler Hinsicht sehr kompliziert und Anschuldigungen helfen nur dann weiter, wenn sie - wie es ja teils auch geschehen ist - sachlich und ausfuehrlich dargelegt werden.

    Sehr problematisch ist fuer mich aber Folgendes: Bei einem derartig unübersichtlichen Interessenkonflikt waere es die Rolle der Medien gewesen, in aehnlicher Form wie hier in diesem Blog aufzuklären. Stattdessen wurde aber meist viel zu oberflächlich recherchiert.

    Und dass weder der Wickert-Bericht, noch der offene Brief der chinesischen DW-Mitarbeiter den Weg in die an diesem Thema doch so interessierten deutschen Qualitätsmedien gefunden hat, ist in meinen Augen entweder ein Armutszeugnis, oder ein Skandal, oder beides (Ich Schelm, der Arges dabei denkt).

    Zu den Autobahnen: Ich bin sicherlich nicht gerade ein Fan der politischen Ansichten von Eva Herrmann oder von Thilo Sarrazin, aber beide haben ihre Meinungen (Die Famlienpolitik der Nationalsozialisten hatte auch positive Aspekte/Deutschland sollte seine tolerante Einstellung gegenüber Teilen der Immigranten aendern, um zukünftige problematische Entwicklungen zu verhindern) sachlich begründet. In einer Demokratie sollte man mit Menschen, die eine kontroverse Meinung vertreten, diskutieren, statt sie aus dem Studio bzw. Vorstandsbüro zu werfen.

    Aber dafür ist Deutschland vielleicht noch immer nicht reif. Meistens sind die Deutschen ja froh, wenn man Freund und Feind klar auseinanderhalten kann.

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  2. Uebrigens ist Blogspot und damit auch Sinica derzeit auch ohne mauerueberwindende Hilfsmittel lesbar.

    Wenn ich nicht wuesste, dass die Chinesen, die das Internet zensieren, weder die sprachlichen noch intellektuellen Faehigkeiten haben, zwischen China-freundlich und China-feindlich (was auch immer das sein soll) zu unterscheiden, dann wuerde ich jetzt vielleicht mutmassen,dass die Berichte hier wohl von nur deswegen in China lesbar gemacht worden sind, weil sie die oeffentliche chinesische Regierungsmeinung (was auch immer das jetzt sein soll) unterstützen.

    Vielleicht koennte ja ein chinesischer Fernsehmoderator, der kein Deutsch versteht, das aufklären und einen sachkundigen Bericht verfassen. Und dann leg ich den Bericht in meine Lieblingsschublade für Kuriositäten aus dem Spiegelkabinett der Aufklärung durch Universalgenies.

    Manchmal ist es wirklich lustig, auf welche Ideen Menschen kommen.

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  3. Einwand re Sarrazin, Neru:

    von einem Zentralbankvorstand kann man erwarten, dass er sich zu seinen Sachthemen äußert, sich aber ansonsten etwas zurückhält. Ansonsten drängt sich mir der Eindruck auf, dass ein gut bezahlter öffentlicher Posten für persönliche Werbezwecke missbraucht wird.

    Der Versuch, Sarrazin aus der SPD auszuschließen war allerdings ein höchst unwürdiges Schauspiel. Eine politische Partei, die sich mit Thesen nicht auseinandersetzen will, die in der Bevölkerung immerhin viel Unterstützung erhalten, ist offenbar auch zur Auseinandersetzung mit ihren Wählerinnen und Wählern nicht in der Lage.

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